Glühendes Labyrinth aus Röhren

Die Hamburger Kunsthalle zeigt die erste große Deutschland-Retrospektive der palästinensischen Künstlerin Mona Hatoum

von Petra Schellen

Nein, das ist nicht wahr. Diese Kunst ist nicht vordergründig politisch, sie will nicht didaktisch sein. Und doch wohnt den Werken der seit 1975 in London lebenden, in Beirut geborenen Palästinenserin Mona Hatoum ein Magnetismus inne: Mit offenen Armen empfangen einen ihre Artefakte, verführen einen aus der Ferne – aber wehe, man nähert sich. Dann krallen sie ihr Opfer und speien es wieder aus.

Wie Mona Hatoum, in Großbritannien und den USA längst als eine der bedeutendsten Künstlerinnen ihrer Generation anerkannt, das hinbekommt? Etwa mit Hilfe der Gummi-Krücken, die – präsentiert im Rahmen der ersten großen Deutschland-Retrospektive in der Hamburger Kunsthalle – nur von Ferne stabil aussehen. Beim Näherkommen verflüchtigt sich dies: Biegsam und verletzlich kommen die Stützen daher; an Landminen-Opfer zu denken ist erlaubt, aber nicht Pflicht. „Natürlich sind meine Werke auch durch meine Biographie geprägt“, sagt Hatoum, die bei einem London-Besuch vom Ausbruch des Bürgerkriegs im Libanon überrascht wurde und, weil Rückkehr 15 Jahre lang unmöglich war, dort blieb.

Ob sie sich aber als politische Künstlerin begreift? „Alle Kunst ist politisch“, betont Hatoum, die auf der „documenta 11“ mit der Installation Homebound – einem Arrangement aus beklemmend verdrahteten Küchengeräten – Aufsehen erregte. Folter-Assoziationen drängen sich auf, doch Hatoum will nicht „mit dem Finger auf etwas weisen“.

Schwer zu glauben angesichts der Motive, die auf Gefängnis, Folter und Emigration deuten. Aber, sagt Mona Hatoum, so konkret meine sie das nicht. „Natürlich kann sich niemand von den Bildern, die er im Kopf hat, befreien. Aber meine Kunst allzu eng mit meiner Vita zu verzahnen bringt nicht weiter.“

Mit Performances hat die Künstlerin in den 80er Jahren begonnen, hat ihren Körper exzessiv präsentiert, etwa in der Endoskopie für die Video-Installation Corps étranger (Fremder Körper). Inneres nach außen zu kehren, nie sicher zu sein: Dies ist auch Thema des Videos Don’t smile, you’re on camera!: Hatoum hat während dieser Performance das Publikum gefilmt und die Resultate mit Nacktszenen überblendet. „Schon als ich nach London kam, war ich sensibel für die permanente öffentliche Überwachung“, sagt Hatoum. Videos der umliegenden Straßen wird sie jetzt auch in der Kunsthallen-Kuppel installieren, als blicke man aus einem Wachturm nach draußen: Dichte Mauern sind vielleicht keine; Big Brother kann jederzeit die Illusion von Schutz und Privatheit zerstören.

Dafür bedarf es nicht einmal diktatorischer Machtstrukturen oder der absurd-isolierten Situation der Araber in Jerusalem. Ein großes Bodenquadrat aus Olivenöl-Seife hat Hatoum etwa während eines Jerusalem-Aufenthalts 1996 geschaffen; in die für die Region typische Seife hat sie mit Perlen die Umrisse der Palästinenserbezirke gedrückt. Ein zerstückelter Archipel ist daraus geworden.

Doch Seife ist vergänglich, Grenzziehungen vielleicht auch: Ob diese Arbeit Ausdruck einer Vision der Künstlerin ist? „Ich weiß nicht“, sagt Hatoum; wieder will sie nicht politisch sein. Sie mag auch nicht unnötig verschlüsseln – weder in den minimalistischen Installationen der 90er noch in den neuen konzeptuelleren Arbeiten. Trotzdem nutzt Hatoum auch nichteuropäische Codes. Aus Haaren hat sie Muster in ein Tuch geflochten: „Ich dachte daran, dass sich arabische Frauen vor Kummer die Haare ausreißen und dass das eine Geste des Protests ist.“

Nähe und Distanz, Schein und Sein: Dialektik regiert Hatoums Werke, Gefahr manchmal auch. Glühende elektrische Brennelemente hat sie in der Installation The Light at the End auf den Boden gelegt – ein Labyrinth, das ästhetisch scheint, bis man begreift, dass man sich daran verbrennen kann. Zieht sich die Kunst – diesmal qua Gefährlichkeit – zurück auf ihren Olymp? Oder wird Gefahr zur neu zu integrierenden Kategorie? Dem Betrachter unvermittelt den Boden wegzuziehen ist Ansatz Hatoums; deutliches Beispiel auch: ein „Teppich“ aus Murmeln.

Vom Kopf auf die Füße stellt Hatoum scheinbar eherne Wahrnehmungskategorien: Nicht Ferne erschafft Fremdheit, sondern Nähe: Von weitem wirken all diese Dinge vertraut. Kommt man näher, fühlt man sich betrogen. Erst die Prüfung kann erweisen, was es wirklich ist. Aber vielleicht ist es dann zu spät, hat man sich schon geschnitten oder verbrannt. Schein und Sein verkeilen sich, Auflösung wird nicht geboten. Und doch: die Form, einzige Chance, Gegensätze zu verdichten, löst die Spannung, und hierin besteht die dialektische Aufhebung: im Faktum der real existierenden Installation.

26.3.–31.5.2004, Hamburger Kunsthalle. Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr