Der Multikultur-Multi

Seit einem halben Jahr betreibt Levent Bayram auf dem Kottbusser Damm das türkische Medienkaufhaus Anadolu Kültür Sarayi. Religiöse Erbauungsliteratur geht am besten

VON JAN-HENDRIK WULF

Freunde und Familie reagierten erst einmal skeptisch, als Levent Bayram auf die Idee kam, in Berlin eine türkische Buchhandlung zu eröffnen: Ein literaturbegeistertes Publikum werde er unter den hiesigen Landsleuten kaum finden. Doch Bayram setzte sich gegen alle Bedenken durch. Im September 2003 eröffnete am Kottbusser Damm 94 der „Anadolu Kültür Sarayi“, der Anatolien-Kulturpalast. Hier sind auf 120 Quadratmetern rund 12.000 Literatur- und Medientitel zu finden – in türkischer Sprache. Bayram sieht sein Unternehmen in einem größeren Zusammenhang: „Ich wollte diesen Laden eröffnen, damit die Berliner Türken einen intellektuellen Stand erreichen, um den Dialog mit der einheimischen Bevölkerung aufnehmen zu können.“

Der gebürtige Berliner Bayram hat in Istanbul deutsche Literaturwissenschaft studiert. Doch in erster Linie denkt er unternehmerisch. Nach dem Studium machte er sich zunächst mit einem Handel für Mobiltelefone selbstständig. Als er in der in der Türkei keine wirtschaftliche Zukunft mehr sah, kehrte er 1999 nach Berlin zurück. Hier organisierte er eine Verkaufsmesse für türkische Verleger: „Da hab ich gesehen, wie viele türkische Menschen Bücher lesen.“ Mit Hilfe eines Buchhändlers aus Konya, der in der Türkei 35 Filialen betreibt und auch den Berliner Laden beliefert, gelang es Bayram, seinen Vater zu überzeugen, als Inhaber einzusteigen.

Kleinere türkische Buchhandlungen gibt es in Berlin schon seit den Siebzigerjahren. Doch die führten ein ziemliches Nischendasein. Wie die gesamte Emigrantengemeinde war auch der Buchhandel politisch gespalten: „Meistens waren das linksradikale Intellektuelle, während konservative Leute ihre Bücher über die Moschee bezogen haben.“ Bayram möchte in prominenter Geschäftslage ein breites Angebot für alle politischen Richtungen bereithalten. Und während andere Buchläden nebenbei auch Flugtickets, Versicherungspolicen und Lottoscheine anbieten, soll es bei ihm ausschließlich Kultur geben: „Hier gibt es nichts Paradoxes. Wir haben sonst nur noch Audio- und Videoartikel. Die haben keine große Gewinnspanne, sondern sollen die Leute erst mal anlocken.“ Das Musikangebot im Eingangsbereich des Ladens reicht von Kiraç, einem türkischen Jazz-Funk-Soulmusiker, bis zu Zeki Müren, dem verstorbenen Transvestiten und Megastar der Türkei.

Wofür sich türkische Leser interessieren, unterscheidet sich nicht wesentlich von dem, was die Deutschen bei Dussmann oder Hugendubel kaufen: Traumdeutung, Astrologie, Lebensrat und Selbsthilfe für Gebet, inneren Frieden oder Eheglück, Management und Mitarbeiterführung, Kochbücher und Korane. Gefragt sind auch Sachbücher über Geheimorganisationen wie den Illuminatenorden oder die Grauen Wölfe, das Abhörsystem Echelon oder den Cyberkrieg.

Doch auch europäische Klassiker sind bei ihm im Angebot. Die heißen beim türkischen Lesepublikum Tolstoi, Puschkin, Gorki und Flaubert. Deutsche Autoren sucht man vergebens. Eine einsame literaturwissenschaftliche Abhandlung über Goethe und den Sufismus hat bislang noch keinen Leser gefunden. Die Abteilung mit türkischen Kinderbüchern befindet sich gerade im Aufbau. Die Nachfrage in diesem Bereich hat Bayram anfangs unterschätzt. Auch das betrachtet er in einem größeren gesellschaftlichen Kontext: „Die erste Generation hat es verabsäumt, ihre Kinder sprachlich und kulturell zu erziehen.“

Mit der Zweisprachigkeit steht es in der zweiten Generation der Deutschtürken nicht zum Besten. Doch heute hätten Eltern wieder zunehmend den Wunsch, ihren Kindern Türkisch beizubringen. Beliebt sind auch jene Bücher, die eine positive Einstellung zum Islam vermitteln. Ein großer Erfolg ist Halit Ertugrols „Kendini Arayan Adam“ (Der sich suchende Mann). Die bereits in 141. Auflage gedruckte Erzählung über einen Gelehrten und bekennenden Atheisten, der zu den Werten des Islam zurückfindet, verkauft sich zur Zeit rund 20-mal pro Woche.

Doch linke Leser bleiben dem Kulturpalast weitgehend fern. Bayram ist verwundert: „Ich habe auch alle Werke von Yasar Kemal, kann aber nicht behaupten, bislang auch nur zehn Ausgaben davon verkauft zu haben.“ Er vermutet, dass die politische Linke inzwischen nicht mehr so fleißig liest wie früher. Möglich auch, dass sie sich von den gerahmten Koransuren in goldener Ornamentschrift oder den als „Digital Quran“ programmierten Palmtops (die den Koran auf Arabisch und Englisch anzeigen und vorlesen) abgeschreckt fühlen, die das Angebot im Kulturpalast abrunden.

Die konservativen Türken hält Bayram für wesentlich toleranter als ausbleibenden Linksintellektuellen. Zwar gab es aus islamischen Kreisen schon Beschwerden über bestimmte religiöse Titel im Sortiment – aber niemand hat sich bislang daran gestört, dass daneben auch Marcel Prousts „Sodom ve Gommora“ im Regal steht. Bayram nimmt das ganz pragmatisch: „Ich sehe das unternehmerisch und biete eben das an, was sich gut verkauft.“

Türkische Lesekreise decken sich gleich stapelweise ein. Bayram ist selbst in zwei Lesegruppen engagiert. Eine davon ist deutschsprachig. Dort liest er gerade „Das unendliche Licht. Das Leben des Propheten Mohammed“, um seinen deutschen Wortschatz in religiösen Fragen zu erweitern. „Die erste Generation hier hat es verpasst, den Dialog mit den Deutschen zu suchen. Bislang habe ich noch mit keinem Deutschen über Mohammed gesprochen.“

Der Dialog, so er in der von Bayram skizzierten Form zustande kommt, wird sicherlich auf beiden Seiten zu überraschende Einsichten führen, wenn man erfahren möchte, was die Gemüter der anderen denn wirklich bewegt. Bayram misst seinen Erfolg nicht allein ökonomisch: „Ich habe einen Mehrwert erzeugt, weil ich Leute erreicht habe, die sonst gar keine Bücher gekauft hätten. Das macht mich schon stolz.“