Duft hinter beschlagenem Fenster

Die Kuchen in Berlin sind trotz Kaffeebar-Trend oft ein Desaster. Cynthia Barcomi zeigt seit zehn Jahren, dass es anders geht. Mit Handarbeit und lebensechten Zutaten haucht sie ihren Backwaren Seele ein. Der Duft frisch gebackener Hefekuchen kommt direkt aus dem Keller

VON TILL EHRLICH

Es duftet nach Zimt, Kaffee und warmem Hefegebäck. Wer das Barcomi’s in der Bergmannstraße in Kreuzberg betritt, erlebt eine Zeitreise. Es duftet nach Kindheit, nach selbst gebackenem Sonntagskuchen. Und zwar täglich. An kalten Wintertagen ist das Schaufenster beschlagen, weil innen ununterbrochen heiße Milch geschäumt wird und das Gebäck ofenwarm ist.

Der Duft kommt aus der Backstube im Keller. Jeden Morgen, um vier Uhr, beginnen hier vier Konditoren ihre Arbeit. Darüber befindet sich die Kaffeerösterei mit dem engen Café: elf wacklige Tische, an den jeweils gerade Platz für zwei ist. Die Wände sind beige und abgeschabt, die Stimmung pegelt sich zwischen Aufgekratztheit und Gelassenheit ein, im Hintergrund mischen sich Drum-’n’-Bass-Loops mit dem zischenden Sound der Kaffeemaschine, die hier nie verstummt. Es gibt keinen vernünftigen Grund, das Barcomi’s zu mögen, außer dass es glücklich macht.

Vor zehn Jahren war die damals gegründete Kaffeerösterei Barcomi’s ein Novum. Man bekam selten Platz. Monster-Brownies, Carrot-Cake, Cinnemon-Roll oder der sagenhafte New-York-Cheesecake waren mehr als leckere Köstlichkeiten, es waren Schlüsselerlebnisse. Die Begegnung mit süßer Sinnlichkeit. Sie hat Spuren im Gedächtnis hinterlassen.

Zehn Jahre später hat Berlin einen Kaffeebar-Hype und die Invasion amerikanischer Backwaren hinter sich. Ob Starbucks, Caras, Einstein oder Balzac, die Kaffeebars sind im Stadtbild omnipräsent. Aber hat sich dadurch die Qualität der Kuchen und des Kaffees wirklich verbessert? Die meisten haben nicht eingelöst, was sie versprachen. Viele Kaffeebars sind inzwischen wieder verschwunden. Denn sie setzten nicht auf Qualität, sondern auf Expansion und eröffnen so viele Filialen wie möglich. Der Kaffee wird selten frisch geröstet, die Qualität ist oft lausig. Das Gebäck schmeckt fad und überall gleich, weil es aus Industrieprodukten hergestellt wird. Wie in einem Backshop oder Supermarkt. Aber was ist mit Barcomi’s passiert?

Zehn Jahre später. Das Schaufenster in der Bergmannstraße ist beschlagen. Innen duftet es nach Zimt, Kaffee und warmem Hefekuchen. Die Backstube ist immer noch im Keller. Oben bekommt man kaum Platz. Eine große Blondine, die deutlich an Daryl Hannah in „Blade Runner“ erinnert, balanciert cool ein Tablett mit Café Latte und Monster-Brownies durch die Enge, vorbei an Menschen, Stühlen und abgestellten Taschen. Und dann kommt das Unfassbare: Die Qualität von Carrot-Cake und New-York-Cheesecake hat nicht nachgelassen. Sie hat sich verbessert.

„Mein Erfolg“, sagt Cynthia Barcomi, „ist nicht selbstverständlich.“ Sie strahlt starke Energie aus, in die sich Entschlossenheit und Sensibilität mischen. Cynthia Barcomi ist New Yorkerin. Dort studierte sie Theater und Tanz. Wenn sie von ihrem Gebäck und Kaffee spricht, dann schwingt auch immer etwas von ihrer Bühnenerfahrung mit. Dort hat sie gelernt, wie wichtig es ist, die innere Spannung einer Darbietung immer wieder reproduzieren und erleben zu können. Tag für Tag. Das hat sie auf ihr Geschäft übertragen. Gastronomie bedeutet, dass man jeden Tag die Spannung halten muss, dass Carrot-Cake und Bagels jeden Tag gut schmecken, unabhängig von der Befindlichkeit und Laune des Personals. Das kostet Energie. Cynthia Barcomi bringt sie täglich auf. Seit 1994. Die ersten Jahre hat sie in der Bergmannstraße im Keller noch jeden Kuchen allein gebacken. Irgendwann hatte sie dann ein Team aufgestellt, das bereit war, ihre kompromisslose Haltung zu teilen: Alles wird täglich frisch gebacken. Es werden keine Industrieprodukte verwendet. Alles wird handemade, also strikt handwerklich hergestellt. Jedes Obst wird frisch geschält. Für die Krems werden frische Eier verwendet statt Instantpulver. Und statt fertigem Zitronensaft werden noch Zitronen gepresst. Alles keine Selbstverständlichkeiten.

Damit unterscheidet sich Barcomi’s vom Großteil der Berliner Bäcker und Konditoren. Sie haben das Backgewerbe ruiniert, weil sie ihr Handwerk aufgegeben haben. Und fast nur noch mit Industrieprodukten und Backmischungen arbeiten. So wurden aus Bäckereien verzichtbare Backshops. Viele werben damit, dass sie angeblich stündlich frisch backen würden. Dabei backen sie nur Tiefkühlware auf. Viele Backöfen sind erloschen, die Schaufenster nicht mehr beschlagen.

Ein wesentliches Verdienst von Cynthia Barcomi ist, dass sie das Wesen ihrer Kuchen bewahrt. „Ein Carrot-Cake aus der Fabrik ist nicht lebendig, weil seine Seele nur durch Handarbeit in ihn kommt.“ Deswegen expandiert sie nicht, bleibt klein, nur so lässt sich die Qualität bewahren. Barcomi nennt ihre Arbeit Nostalgie. Hier irrt sie. Was sie tut, ist äußerst lebendig in unserer Zeit.

Barcomi’s Kaffee, Kuchen und Gebäck gibt es täglich bei: Meze, Raumerstr. 7, Prenzlauer Berg; Barcomi’s Kaffeerösterei, Bergmannstr. 21, Kreuzberg; Barcomi’s Deli, Sophienstr. 21