Im Mutterland der Handwerker

Die Handball-Bundesliga ist international nahezu konkurrenzlos. Nirgendwo sonst wird so viel Geld verdient, nirgendwo sonst spielen so viele Stars, nirgendwo sonst strömen so viele Zuschauer in so große Arenen. Selbst Spanien kann da nicht mithalten

Wer deutscher Handball-Meister werden kann, kann auch alles andere werden

VON FRANK KETTERER

Es ist noch gar nicht so lange her, da wurde der Handballtrainer Kent-Harry Andersson mit einer ziemlich diffizilen Frage konfrontiert. Ein Mann von der Zeitung hatte ihm diese gestellt, und Andersson, der als ein besonnener Mensch gilt, wägte lange ab, ehe er seine Antwort formulierte. Dann sagte Andersson: „Mir ist es eigentlich egal, welchen Titel wir gewinnen. Aber ich glaube, die Stadt Flensburg will lieber die deutsche Meisterschaft.“ Für einen Trainer muss es eine prima Sache sein, so einen Satz sagen zu können. Für die Handball-Bundesliga ist dieser Satz sogar noch ein bisschen mehr, nämlich nichts weniger als die ausformulierte Bestätigung, dass sie in der Tat das ist, wofür sie sich seit ein paar Jahren schon hält: die beste Liga der Welt. Denn, das muss man vielleicht noch wissen, um Anderssons Worte in ihrer vollen Tragweite begreifen zu können, die von ihm trainierte SG Flensburg-Handewitt führt derzeit nicht nur die Bundesliga-Tabelle an und steht im Final Four um den DHB-Pokal, sondern, und das vor allem, mit deutlich mehr als einem Bein im Endspiel der Champions League. Dass Andersson den Gewinn des nationalen Championats auf der Prioritätenliste dennoch höher einstuft als den möglichen Triumph in der europäischen Königsklasse, wirkt freilich nur auf den ersten Blick merkwürdig. Auf den zweiten entdeckt man recht schnell die Botschaft, die sich dahinter verbirgt: Kein Titel ist mehr wert als der des Deutschen Meisters. Denn: Wer deutscher Handball-Meister werden kann, kann auch alles andere werden, Champions-League-Sieger inbegriffen. Und dass dieser Satz nicht einfach so dahingeschrieben ist, sondern wahr, wird schon durch den morgigen Halbfinalgegner der Flensburger unterfüttert. Der heißt SC Magdeburg, ist derzeit Bundesliga-Dritter – und damit einen Rang hinter dem THW Kiel platziert, der ebenfalls am Sonntag gegen L.-D. Astrachan vor dem Einzug ins Endspiel um den EHF-Pokal steht. Im Halbfinale des Europapokals der Pokalsieger wiederum, das nur ergänzend, trifft TuSEM Essen bereits heute auf Portland S. Antonio. Essen rangiert in der Bundesliga derzeit auf dem siebten Platz.

Das Szenario wirkt ein bisschen so, als würden FC Bayern, Borussia Dortmund, Schalke 04 und Werder Bremen die Fußballtrophäen in Champions League und Uefa-Cup unter sich aufteilen. Das heißt: Im Handball wirkt es nicht so, es entspricht mehr oder weniger den Tatsachen, so wie es ja auch den Tatsachen entspricht, dass weder Bayern noch Dortmund noch Schalke noch Bremen in nächster Zeit auf internationalem Rasen auch nur einen Blumentopf gewinnen wird. Warum aber ist das so? Warum sind die Deutschen mit ihrem Handwerk derart führend, während ihr Fußball nur zweitklassig daherrumpelt?

Die Frage ist eine gute Gelegenheit, zum Telefon zu greifen und Heiner Brand anzurufen, den Bundestrainer, der Deutschland ja gerade zum Handball-Europameister gemacht hat. Jetzt brummelt Brand ins Telefon, dass Deutschland das Mutterland des Handballs sei und der Sport hierzulande schon deshalb eine traditionell breite Basis habe und „gewachsene Vereinsstrukturen wie in keinem anderen Land“. Dass die Historie allein kaum als Grund ausreichen dürfte, um die Handballwelt zu dominieren, weiß natürlich auch der Bundestrainer, und deshalb weißt Brand brummend darauf hin, dass im Fußball eine ganz andere Konkurrenzsituation herrsche, weil es dort eben noch die großen Ligen in Spanien, Italien und England gibt, die die großen Spieler locken, nicht selten mit weitaus größerem Geld, als es die Bundesliga tut. „Im Handball“, sagt Brand, „ist das anders.“ Er meint damit nicht das Geld, sondern die Konkurrenzsituation. Im Prinzip gibt es keine Konkurrenz für die Handball-Bundesliga, bestenfalls Spanien kann noch mithalten. Brand sagt: „Lediglich in Spanien und Deutschland sind professionelle Strukturen über die ganze Liga verteilt.“ Schon in den Handball-Ligen Frankreichs, Schwedens, Dänemarks oder Russlands hingegen ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, bestenfalls das Halbprofitum verbreitet. Wer also vom Handball leben und seine Familie davon ernähren möchte, muss in Deutschland oder Spanien spielen. Brand sagt: „Die besten Handballer der Welt spielen in Deutschland oder Spanien.“

Christian Schwarzer, der Kreisläufer des TBV Lemgo, hat in beiden Ländern gespielt. Schwarzer sagt: „In der Bundesliga ist die Leistungsdichte noch größer.“ Während es in Spanien drei oder vier Klubs gebe, die auch international höchsten Ansprüchen genügen könnten, seien es hierzulande deren sieben oder acht, mindestens. Und was für die Leistungsdichte gelte, lasse sich auch aufs Gehaltsgefüge übertragen. „In der Spitze nimmt sich das in Spanien kaum etwas im Vergleich zu Deutschland. Von der Gesamtheit her aber wird in der Bundesliga besser verdient“, sagt Schwarzer. Und deshalb spielen in Deutschland noch ein paar internationale Stars mehr als in Spanien. Kaum ein Bundesligist, der sich nicht mindestens zwei, drei Nationalspieler leistet, schon um ligaintern einigermaßen konkurrenzfähig bleiben zu können.

Im Prinzip ist es so: Wegen des ganzen Geldes kommen die ganzen Stars. Aber dieses Prinzip geht noch weiter: Wegen der ganzen Stars strömen die ganzen Zuschauer, wegen der ganzen Zuschauer bauen immer mehr Vereine große, moderne Hallen, in die dann noch mehr Zuschauer strömen, die den Vereinen wiederum noch mehr Geld bescheren für noch mehr Stars. Nicht zufällig spielen die derzeit erfolgreichsten deutschen Klubs, den TBV Lemgo einmal ausgenommen, auch was den internationalen Vergleich anbelangt in den größten Arenen und vor dem größten Publikum. „Spanien ist dagegen ein Witz“, sagt Christian Schwarzer, der in seiner Zeit beim FC Barcelona zwar durchaus auch Partien vor knapp 7.000 Zuschauern erlebt hat, „aber nur bei Highlightspielen“. In Kiel beispielsweise ist die rund 10.000 Zuschauer fassende Ostseehalle bei jedem Heimspiel des THW ausverkauft.

„Das ist eine Art Teufelskreis“, sagt Heinz Jacobsen, der Ligachef, wobei er das nicht negativ meint, sondern damit nur zum Ausdruck bringen möchte, dass die Handball-Bundesliga in allen Punkten die Nase vorne hat – bei Stars, Geld, Zuschauern und Hallen – und jeder Punkt den anderen ein bisschen bedingt. Wenn Jacobsen dafür den Grund nennen soll, fällt ihm nur ein Satz ein: „Die Handball-Bundesliga ist die stärkste Liga der Welt.“