Klimaschutz? Alle wieder zurück auf Los!

Streit zwischen Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) eskaliert. Gespräche über den Emissionshandel liegen auf Eis, ein neuer Termin ist nicht in Sicht. Clement will Kohle- und Atomindustrie bedienen

AUS BERLIN HANNES KOCH

Die Verhandlungen zwischen dem Bundeswirtschafts- und dem Umweltministerium zum Klimaschutz liegen auf Eis. Gestern waren die beiden Häuser nicht in der Lage, einen neuen Termin für die abgebrochenen Gespräche über den Emissionshandel zu nennen. Eine Einigung sei aber beabsichtigt, hieß es auf beiden Seiten.

Mit dem von der Europäischen Union ab 2005 vorgeschriebenen Emissionshandel werden Industrieunternehmen, privaten Haushalten und dem Verkehr jeweils Kohlendioxidmengen (CO2) zugesprochen, mit denen sie die Atmosphäre verunreinigen dürfen. Firmen, die ihre Abgase schneller reduzieren, als geplant, können nicht benötigte Verschmutzungsrechte verkaufen.

Nachdem die Staatssekretäre Wilhelm Adamowitsch (Wirtschaft) und Rainer Baake (Umwelt) vergangenen Dienstag einem Kompromis sehr nahe gekommen waren, hat Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) diesen Stand mittlerweile wieder in Frage gestellt. In einem Brief an seinen Umweltkollegen Jürgen Trittin (Grüne) setzt sich Clement dafür ein, die Verschmutzungsrechte der Industrie in den kommenden Jahren zu erhöhen, statt zu senken. Während die Staatssekretäre einen Gesamtausstoß der deutschen Industrie von 499 Millionen Tonnen CO2 für 2007 festgelegt hatten, sieht Clement in seinem Brief eine Aufstockung vor.

Zugunsten der Stahlindustrie fordert Clement zusätzliche Verschmutzungsmengen von 20 Millionen Tonnen pro Jahr. Auch die Atomindustrie soll noch einmal bedient werden. Unter anderem die Konzerne Eon und EnBW sollen kostenlose Zertifikate für 5 Millionen Tonnen Kohlendioxid erhalten, weil sie durch den Ausstieg aus der Atomkraft eine besondere Leistung erbrächten.

Umweltminister Trittin hat auf Clements Schreiben nur kurz und schroff geantwortet. „Auf der Basis Ihrer Positionen ist eine Verständigung zum Allokationsplan ausgeschlossen“, schreibt Trittin. Der nationale Allokationsplan enthält unter anderem die Kohlendioxidmengen. Trittins Sprecher Michael Schroeren machte gestern klar, dass sich nach Clements Schreiben auch sein Minister nicht mehr an die Beinaheeinigung der beiden Staatssekretäre gebunden fühle.

Zur Erläuterung von Clements Motiven konnten gestern diverse Sprecher des Wirtschaftsministeriums nur wenig beitragen. Nicht allzu fern liegt folgende Interpretation: Auf dem SPD-Parteitag an diesem Wochenende ist es dem Minister wichtig, der Traditionsklientel der Partei Honig um den Mund zu schmieren. Dazu gehören unter anderem die von der Agenda 2010 verunsicherten Beschäftigten der Kohle-, Stahl- und Energieindustrie Nordrhein-Westfalens. So verfährt die SPD-Energiepolitik nach dem Motto: Alte Strukturen und Besitzstände sind gut, Modernisierung hingegen ist von Übel. Dabei fällt die SPD-interne Abwehr von energiepolitischer Innovation und Ökologie, die eher bei den Grünen Fürsprecher finden, immer dann besonders stark aus, wenn die Sozialdemokraten unter öffentlichem Druck stehen.

Insofern stellt sich die Auseinandersetzung um den Emissionshandel als aktueller Höhepunkt einer langen Reihe rot-grüner Konflikte in der Energiepolitik dar. Die begann mit der Vereinbarung über den Atomausstieg, wurde fortgesetzt beim Streit über die Förderung erneuerbarer Energie und ist mit dem gegenwärtigen Dissens über den Export der Atomfabrik Hanau noch nicht zu Ende. Wie sich das alte Muster in Sachen Emissionshandel auswirken wird? Die Industrie bekommt in den nächsten Tagen voraussichtlich ein paar Millionen Tonnen CO2 mehr zugestanden.