Ein Gespenst ist auf dem Parteitag zu Gast

Franz Müntefering wirkt schon – zumindest in der SPD selbst: Überlegungen zu einer neue Partei links von der SPD spielten in Berlin kaum eine Rolle, selbst notorische Abweichler rufen zur Geschlossenheit auf. Aber die Einheit trügt

Die Sonne scheint, alles ist friedlich vor dem Berliner Estrel Convention Center, in dem sich die SPD wieder einmal zum Parteitag trifft. Keine Trillerpfeifen. Keine wütenden Demonstranten, die über Sozialabbau schimpfen. Nur drei SPD-Fahnen flattern im warmen Wind. Da, wo vor knapp einem Jahr noch dutzende Gewerkschafter gegen die gerade beschlossene Agenda 2010 des Kanzlers protestierten, können die SPD-Delegierten diesmal unbehelligt in die Halle gehen. Unbehelligt, nicht unbesorgt.

Die friedliche Stille könnten sie auch als weiteres Zeichen der Abwendung empfinden. Seit dem vergangenen Jahr sind noch mehr Mitglieder ausgetreten, hat die SPD noch mehr Wahlen verloren. In Hamburg haben mehr Arbeiter CDU gewählt als SPD. In den Umfragen steht die SPD bei 23 Prozent. An dem Abwärtstrend hat auch der angekündigte Wechsel an der Spitze bisher nichts geändert.

Im Gegenteil. Inzwischen denken einige Genossen laut darüber nach, einen Konkurrenzverein aufzumachen. Links von der SPD. Und so ist auf diesem Parteitag ein Gespenst zu Gast: das Gespenst einer neuen „Linkspartei“. Weder Schröder noch Müntefering geht direkt auf die Linksabweichler ein. Es wäre wohl zu viel der Ehre. Aber die Warnung vor den „Spaltern“ gehört sehr wohl zum Parteitagsprogramm.

Er ist gut geplant. Nicht zufällig hält die Vorzeigelinke unter den Vizechefs die Begrüßungsrede. „Wer links neben der SPD splittern will“, sagt Wieczorek-Zeul, „wird feststellen, dass er nur der Opposition hilft.“ Sie spricht von der „politischen Organisation der Arbeiterbewegung“, von dem Ziel, „eine gerechtere Weltordnung zu schaffen“, und sie schließt mit dem Appell: „Wir fordern alle auf: Tut mit, in der SPD!“

Auch Exparteichef Hans-Jochen Vogel warnt, schon ein Prozent für eine linke Gruppe bei der nächsten Bundestagswahl könnte bedeuten, dass der SPD die Regierungsverantwortung „auf Jahre verloren geht“. Der Union könne also „nichts Besseres passieren“ als eine „Absplitterung und Parteineugründung“. Kaum ein Redner vergisst den Appell an die Genossen, die sich abgewendet haben, „zurückzukommen“, „wieder mitzumachen“. Müntefering verteilt eine „herzliche Einladung“ an die Gewerkschaften, „wirklich ins Gespräch einzutreten“. Sie wird dankbar angenommen.

Auch die DGB-Vizechefin reiht sich ein. Von einer neuen Partei halte sie „nichts“, sagt Engelen-Kefer. Angesichts der drohenden Radikalreformen der Union müssten SPD und Gewerkschafter „alle Kräfte bündeln“. Diese neu entdeckte Bereitschaft zur Gemeinsamkeit entspricht sozialdemokratischer Tradition. Auf Gefahren wird mit Geschlossenheitsbeschwörung reagiert. Die Warnungen vor der drohenden Konkurrenz von links lassen die SPD-Funktionärsriege zusammenrücken.

Nur wie weit trägt die viel beschworene Aufbruchstimmung, die man auch als Ablenkungsmanöver sehen kann, wenn den Kritikern inhaltlich nichts Neues angeboten wird?“ Dieser Parteitag war sehr stark nach innen gerichtet“, gibt Fraktionsvize Gernot Erler zu. Nun müssten „ziemlich schnell konkrete, politische Signale“ folgen, etwa in der Steuerpolitik. Nur so könne es gelingen, die Abweichler wieder „einzufangen“. Die Jagd dürfte schwer werden.

LUKAS WALLRAFF