Hilfe, kommunistische Viren!

Nach der Volksrepublik China steht nun auch der abgespaltene Inselstaat Taiwan im Bann der Atemwegserkrankung SARS. Nirgends breitet sich das Virus derzeit schneller aus. Das gibt Anlass für jede Menge Demagogie und Diplomatenstreit

aus Peking JUTTA LIETSCH

Nirgendwo haben sich in den letzten Tagen so viele Menschen mit SARS angesteckt wie in Taiwan. 36 waren es allein am vergangenen Wochenende. Insgesamt haben sich inzwischen fast 350 Taiwaner infiziert, 40 sind inzwischen gestorben. Noch im April hatte die Taipeher Regierung behauptet, das Virus sei „effektiv unter Kontrolle“ gebracht – heute gehört die Insel zu den Brennpunkten des „schweren akuten Atemwegssyndroms“.

Obwohl die Taipeher Regierung mit rigiden Quarantänemaßnahmen versucht hat, die Ausbreitung der Krankheit zu verhindern, und obwohl das Gesundheitswesen Taiwans zu den besten in Asien zählt, haben sich in den letzten Wochen in den Kliniken der Insel immer wieder Mediziner angesteckt. Ein Drittel aller SARS-Patienten sind Krankenhausmitarbeiter. Verängstigte Ärztinnen, Pfleger und Patienten haben in den letzten Tagen immer wieder versucht, aus abgesperrten Hospitälern zu flüchten.

Nachdem zwei Ärzte an SARS gestorben sind, trat Gesundheitsminister Twu Shin-jer am Freitag zurück. Einer der beiden Ärzte hatte zuvor eine Urlaubsreise nach Japan gemacht – obwohl er zu den Gruppen mit dem höchsten Risiko zählte, da er kurz zuvor selbst SARS-Patienten behandelt hatte. Inzwischen hat sich Taiwans Regierung in Japan offiziell dafür entschuldigt, dass der Arzt das Virus dort eingeschleppt haben könnte.

Für die 23 Millionen Taiwaner ist SARS nicht nur ein medizinisches Problem. Die Krankheit ist hoch politisch, wie sich bei der Konferenz der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigt, die gestern in Genf eröffnet wurde. Anders als China ist Taiwan in dem wichtigen Gremium nicht vertreten, das die weltweite Zusammenarbeit gegen SARS koordiniert. Der Grund: Peking verhindert seit Jahren, dass die „abtrünnige Provinz“ in die UNO und ihre Unterorganisationen aufgenommen wird. Zwar haben die USA jetzt erklärt, sie unterstützten den Wunsch Taiwans, wenigstens als „Beobachter“ in die WHO aufgenommen zu werden, seit 1997 sind diese Versuche aber stets gescheitert. Auch in diesem Jahr stehen die Chancen nicht gut.

Auf der anderen Seite schrecken manche taiwanische Kritiker Pekings ebenfalls nicht vor Demagogie zurück. Die Kommunisten auf dem Festland hätten „das Virus nach Taiwan exportiert“, behauptete gestern ein Kommentator in der Taipei Times. Selbst kühlere Köpfe auf der Insel sind derzeit auf Peking besonders schlecht zu sprechen. Viele werfen China vor, ungerührt zugesehen zu haben, wie sich die SARS-Krise in Taiwan verschlimmerte. So mussten internationale Experten der WHO wochenlang warten, bevor sie nach Taipeh reisen durften, um sich vor Ort ein Bild von der Lage zu machen. Erst im Mai, als die große Zahl der SARS-Patienten die Krankenhäuser der Insel bereits überwältigt hatte, gab die chinesische KP ihre Einwilligung für den Besuch.

In China hat sich die Zahl der neuen Infektionen nach offiziellen Angaben inzwischen stark verringert: Nur 12 SARS-Fälle wurden gestern neu bekannt, davon 7 in Peking. Für Singapur brachte das Wochenende eine große Enttäuschung: Ein neuer Fall tauchte auf, kurz bevor die geforderte Periode von 20 Tagen ohne neue SARS-Infektion zu Ende gehen sollte, nach der die WHO ihre Reisewarnung aufheben wollte.