JENNI ZYLKA über PEST & CHOLERA
: Ein Mustang, und das Fieber ist weg

Hobbys vertreiben nicht nur die Zeit. Sie haben therapeutische Wirkung. Sogar auf dem Rücken eines Rennkleppers

In „Bess bekommt ein Pony“, dem einzigen Pferdebuch, das ich als kleines Pickelmädchen gelesen habe, fährt Bess’ Vater, der Herr Liljeberg, sie zu einem wichtigen Ponyreitturnier nach Stockholm, obwohl er einen Tag vorher unter einem starken grippalen Infekt litt. Und wenn ich mich recht erinnere, konnte man in dem Kapitel folgende Aussage lesen: „Am Tag der Abreise schwankte Papa auf wackeligen Beinen, aber fieberfrei zur Garage. Als er im Auto hinter dem vertrauten Lenkrad saß, fühlte er sich gleich viel besser.“

Erst später, Jahre nachdem ich dem Pickelalter entwachsen war und mich Pferde nicht mal mehr als Opfer von perversen niedersächsischen Pferderippern interessierten, wurde mir die Bedeutung dieser Sätze klar. Zunächst die schon fast rührende Gleichsetzung des EINEN PS, von Bess kleinem Pony nämlich, mit den 50 oder noch mehr PS, die in Vaters 70er-Jahre-Wagen steckten: Sind sich Bess und ihr Vater nicht in ihren Leidenschaften viel ähnlicher, als man zu Anfang, als die alten Liljebergs strikt gegen den neuen und als gefährlich geltenden Zeitvertreib ihrer Tochter waren, geglaubt hatte? Dann natürlich der absurde „Heilung durch Hobby“-Effekt: Das Auto hat den Vater gesund gemacht, so wie das Pferdchen das Leben seiner Tochter aufhellt. Und noch mehr: Das Auto ist die Umgebung, in der sich der Vater am wohlsten fühlt, so wie das Glück der Erde für seine Tochter auf dem felligen Rücken ihres kleinen Rennkleppers liegt. Rückblickend würde ich analysieren, dass es sich bei der Karre eigentlich nur um einen Mustang gehandelt haben kann.

Immer wenn ich mich jetzt in mein rostiges Auto setze, versuche ich, jenen angeblichen Gesundungseffekt für mich auszunutzen. Ist mein Kater nicht schon halbwegs verschwunden, wenn ich mit Schmackes die knatschende Fahrertür zuknalle? Kann ich nicht schon viel freier durch meine verschnupfte Nase atmen, wenn ich das Benzin rieche, das durch kleine Löcher aus der Motorhaube in den Innenraum tröpfelt? Hört die Gürtelrose nicht zu jucken auf, wenn die Tachonadel über 100 steigt? Leider nein. Noch nie hat es ein ottomotorbetriebenes Vehikel geschafft, mich in irgendeiner Form körperlich gesunden zu lassen. Im Gegenteil: Wenn ich mich vor Antritt einer Autoreise beschissen fühlte, wurde das im Laufe der Fahrt meistens noch schlimmer und endete nicht selten mit einer Magenumdreh-Szene wie aus dem „Exorzisten“.

Womit wir wieder beim Reiten sind. Dass sich meiner Cousine, die mir in den ersten Lebensjahren vor allem falsch herum auf Pferden hängend im Gedächtnis geblieben war, dabei nicht der Magen umdrehte, ist mir heute noch ein Rätsel. Sie erklärte damals stets, das „Voltigieren“, so heißt diese merkwürdigste aller Pferdesportarten, tue ihr sehr gut, mache schlank und helfe erstaunlicherweise sogar gegen „Reiterhosen“. So nennt man wabbelige oder streifige Frauenoberschenkel, das wusste ich damals aber noch nicht, ihre ganze Argumentation kam mir darum sehr spanisch vor. Außerdem, erzählte meine pferdeverrückte Cousine weiter, bringe es ihren Kreislauf auf Hochtouren. Was wahrscheinlich auch die Lieblingsbegründung aller S- und U-Bahn-surfenden Jugendlichen in Großstädten ist. Oder die der illegalen Rennfahrer, die sich nachts auf stillgelegten Autobahnen mit Karacho entgegensausen, und wer als Erster ausschert, ist ein feiges Huhn: Gegen Arterienverkalkung und niedrigen Blutdruck hilft das garantiert.

Mir ist noch ein anderer, durch ein Quasihobby ausgelöster und durchaus ernst zu nehmender Gesundungseffekt bekannt: die Fasterkältung, die man schnell noch wegzusaufen schafft, im Idealfall mit Rotwein (dessen Tanningehalt, was immer das auch ist, eine gewisse therapeutische Wirkung nachgesagt wird). Aber es funktioniert auch mit hochprozentigen Cocktailmixturen, denn Alkohol tötet mindestens genauso viele Viren und Bakterien wie gesunde Nervenzellen und Erinnerungen. Eine letzte wichtige Frage bliebe konsequenterweise: Kann man sich Heuschnupfen auch wegkoksen? Aber man muss ja nicht alles wissen.

Fragen zu Heil-Hobbys? kolumne@taz.de Morgen: Bettina Gaus über FERNSEHEN