DIE TÖTUNG VON SCHEICH JASSIN MACHT ISRAEL NICHT SICHERER
: Verständlich, aber unklug

Der Tod von Scheich Ahmed Jassin muss niemandem, der Terror grundsätzlich ablehnt, Leid tun. Richtig: Der Scheich hat weder Attentäter ausgebildet noch eigenhändig Sprengstoff in die Gürtel der Selbstmörder gepackt. Aber er war ein politischer Führer, der die Gewalt hätte beenden können – getan hat er das Gegenteil. Jassin hetzte gegen die israelische Besatzung „vom Jordan bis zum Mittelmeer“ und sprach sich für eine Fortsetzung der Tötung auch „unschuldiger Israelis“ aus – für ihn fast ein Widerspruch in sich, da ja jeder Israeli irgendwann einmal Soldat war oder wird. Dass zwischen der spirituellen, politischen und militärischen Führung kein Unterschied gemacht werden kann, lernte schließlich auch die EU, als sie die Hamas auf die Liste der Terrororganisationen setzte.

Dennoch: Die prozesslose Exekution bleibt ungesetzlich. Den Scheich festzunehmen und vor Gericht zu stellen, wäre zweifellos die sauberere Lösung gewesen. Die israelische Führung machte sich, als sie den Weg der Selbstjustiz wählte, selbst zum Mörder. Für die Entwicklungen im Nahen Osten, wo es schon lange nicht mehr um Recht und Unrecht geht, mag das indes kaum von Bedeutung sein.

Entscheidend ist die Frage nach dem strategischen Sinn der Operation. Wird das Leben der Israelis sicherer? Wohl kaum. Auf kurze Sicht ist nicht nur mit einem Anschlag zu rechnen, sondern mit einer ganzen Serie von Anschlägen, ähnlich wie nach der Hinrichtung des militanten Führers Ichije Ajasch, Anfang Januar 1996, für die mehr als einhundert israelische Zivilisten in Tel Aviv und Jerusalem mit ihrem Leben bezahlen mussten. Und auch langfristig wird der tote Scheich Jassin, der im Rollstuhl vor einer Moschee bombardiert wurde, ein Symbol für die Palästinenser bleiben, den mit dem eigenen Leben zu rächen eine ehrenvolle Aufgabe für viele Muslime wird. Ganz Gaza trauerte gestern um den populärsten palästinensischen Führer nach Jassir Arafat. Ein größeres Hindernis hätte Israel dem palästinensischen Ex-Sicherheitschef Mohammed Dahlan, dem Mann, der nach dem Abzug für Ordnung im Gaza-Streifen sorgen soll und ein offener Gegner Scheich Jassins war, nicht in den Weg legen können. SUSANNE KNAUL