Polen will bei der EU-Verfassung einlenken

Vor dem Besuch von Bundeskanzler Gerhard Schröder in Warschau weckt Polens Außenminister Wlodzimierz Cimoszewicz Hoffnungen, dass sein Land sich nicht länger gegen eine Lösung des Verfassungsstreits sperrt

WARSCHAU taz ■ In Polen herrscht am Vorabend des Besuchs von Bundeskanzler Gerhard Schröder die Sorge, dass eine weitere Blockierung der EU-Verfassung durch Warschau die Beziehungen zu Deutschland nachhaltig beschädigen könnte.

Regierungschef Leszek Miller vom postkommunistischen Bündnis der Demokratischen Linken versucht zu retten, was zu retten ist. Auf seine Einladung kommt Schröder heute nach Warschau. In einem Vier-Augen-Gespräch wollen die beiden Politiker nach einer Lösung im verfahrenen Streit um die EU-Verfassung suchen. Außenminister Wlodzimierz Cimoszewicz kündigte bereits an, dass das Treffen „mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit ein Ergebnis bringen“ werde. Es lägen ihm zwei Kompromissformeln vor, die für Polen akzeptabel seien.

Auch Miller gab sich am Wochenende verhalten optimistisch. Die Kampfparole „Nizza oder Tod“, mit der die oppositionelle „Bürgerplattform“ (PO) die polnischen Nationalisten und fast alle Medien hinter sich gebracht hatte, solle die Gespräche nicht wieder überschatten. Schon einmal hatte Miller, der sich den Slogan ebenfalls zu Eigen gemacht hatte, damit Schiffbruch erlitten. Auf dem EU-Gipfel in Brüssel hatten ihn fast alle Regierungschefs abblitzen lassen. Wieder zu Hause, wurde der „Sieger von Brüssel“ mit betretenem Schweigen empfangen.

Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski, der von Anfang an für eine flexiblere Politik votiert hatte, machte gute Miene zum bösen Spiel. Er schwieg. Aber es war klar, dass Polen dabei war, sich innerhalb der EU zu isolieren. Der Imageschaden wurde von Tag zu Tag größer.

Auf dem Gipfel von Nizza hatten die alten EU-Mitglieder in einer jener berüchtigten Nachtsitzungen entschieden, wie die künftige Machtverteilung in der erweiterten EU aussehen solle. Dabei erhielten Polen und Spanien fast genauso viele Stimmen wie die vier „großen“ in der EU – Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien. Ziel war, eine möglichst gerechte Stimmenaufteilung zu finden, die weder die großen noch die kleinen Staaten benachteiligen würde. Heraus kam eine dreifache Mehrheit, die erreicht werden muss, um einen Beschluss zu fassen: die Mehrheit im EU-Ministerrat, die der EU-Staaten und die der Bevölkerung.

Noch in Nizza wurde allen Beteiligten klar, dass die gefundene Lösung schlecht war. Der eigens einberufene Verfassungskonvent, an dem auch Vertreter der Beitrittsstaaten teilnahmen, arbeitete dann ein Grundgesetz aus, das alle bisherigen Regelungen überflüssig machen sollte. Die dreifache Mehrheit wurde auf eine zweifache reduziert: die Hälfte der Staaten, die zugleich 60 Prozent der Bevölkerung repräsentieren, sollten künftig für eine Entscheidung ausreichen. Polen und Spanien, die mit jeweils knapp 40 Millionen Einwohnern nicht mehr fast genauso viel Gewicht haben sollten wie Deutschland mit 80 Millionen und Frankreich mit rund 60 Millionen, verweigerten ihre Unterschrift.

Nachdem nun aber José Zapatero, der neue Ministerpräsident Spaniens, letzte Woche ankündigte, die spanische Blockadehaltung aufzugeben, fand es Staatspräsident Kwaśniewski höchste Zeit, seinerseits ein Zeichen zu setzen. Die von der irischen EU-Ratspräsidentschaft vorgeschlagene Gewichtung der doppelten Mehrheit sei „eine wichtige und interessante Idee, über die man nachdenken sollte“, sagte er. Und zum Besuch Kanzler Schröders: „Das kann entscheidend sein für die Wiederaufnahme der Verhandlungen.“ Jetzt liegt es an Miller, wie er seine politische Karriere beenden will – als „echter Mann“, wie er es so oft angekündigt hat, oder doch nur wieder mit einer Blockade. GABRIELE LESSER