Schröders Welt

Der Kanzler nimmt die Lage in der SPD auf seine eigene Weise wahr: Die Mehrheit auf dem Parteitag und im Bundestag steht

aus Berlin JENS KÖNIG

Iwan ist tot, die Agenda 2010 wird vollständig umgesetzt, der Leitantrag für den Sonderparteitag steht. Der Parteivorsitzende ist „sehr, sehr zufrieden“. Hat da irgend jemand von Aufständen in der SPD geschrieben?

Gerhard Schröders Welt sieht an diesem Montagnachmittag rosig aus. Aber man muss schon Bundeskanzler und Parteichef sein, um einen so optimistischen Blick auf den Zustand der SPD werfen zu können – um nicht zu sagen: werfen zu müssen. Schröder scheint dieses Problem mit der richtigen Perspektive auch irgendwie zu ahnen. Als er auf der Pressekonferenz nach der SPD-Vorstandssitzung erklärt, dass durch die Veränderungen am Leitantrag die Substanz der Agenda 2010 nicht verändert worden sei, schiebt er einen verräterischen Satz hinterher: „Jedenfalls ist das meine Wahrnehmung.“

Das ist korrekt. Die Wahrnehmung der Parteilinken Andrea Nahles, Sigrid Skarpelis-Sperk, Ulrich Maurer, Ottmar Schreiner, Ursula Engelen-Kefer, Heiko Maas und Benjamin Mikfeld ist eine andere. Der zufolge haben sich die Linken mit einigen ihrer Änderungswünsche an der Agenda 2010 durchgesetzt, mit anderen jedoch nicht. Es wird keine Vermögensteuer geben, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes wird auch bei Betroffenen über 55 Jahren gekürzt, die Krankenversicherung wird nicht mehr paritätisch finanziert. In den zurückliegenden Wochen haben die Parteilinken immer wieder gesagt, dass die Sozialreformen des Kanzlers nur ihre Zustimmung finden, wenn substanzielle Änderungen daran vorgenommen werden. Da hat der Kanzler schon Recht: Die Substanz seiner Reformagenda ist nicht berührt. Deswegen haben fünf der Parteilinken (Nahles, Schreiner, Skarpelis-Sperk, Maurer, Engelen-Kefer) gestern im Vorstand gegen den Leitantrag gestimmt, zwei von ihnen (Maas, Mikfeld) enthielten sich ihrer Stimme.

Natürlich hat der Kanzler auch darauf seine eigene Sicht. Fünf Gegenstimmen bei einem über 40-köpfigen Vorstand seien „völlig normal“, sagt er, und schon gar nicht „so gewaltig, dass man jetzt gleich Angst haben müsste“. Er habe zur Kenntnis genommen, dass der ein oder andere aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einem bestimmten Flügel der Partei „nicht zustimmen wollte“. Schröders Blick soll heißen: Nun macht mal alle halblang, ihr wisst doch, wie das mit Gegenstimmen so ist – wenn’s drauf ankommt, steht die Mehrheit. Schröder ist sich sicher, dass es diese Mehrheit sowohl für den Leitantrag auf dem SPD-Sonderparteitag geben wird als auch für die dann in Gesetzesform vorliegende Agenda 2010 im Bundestag.

Im Parlament verfügt die rot-grüne Koalition jedoch nur über eine Mehrheit von vier Sitzen. Zwar sind lediglich zwei der Parteilinken, die gegen den Leitantrag stimmten, Abgeordnete des Bundestages. Aber sowohl Schreiner als auch Skarpelis-Sperk haben den bislang zwölf Gegnern in der SPD-Bundestagsfraktion schon mal den Ernst der Lage verdeutlicht: „Einer Agenda, die mehr Arbeitslose und eine höhere Staatsverschuldung zur Folge hat, können wir nicht zustimmen.“

Die Wahrnehmung des Kanzlers ist wieder eine andere. Die Reformkritiker seien erfahrene und disziplinierte Mitglieder der Partei, so Schröder. Sie wüssten alle, dass es einen Unterschied mache, ob man mal eine andere Meinung als der Parteichef vertrete oder die eigene Mehrheit im Bundestag verhindere.

Gemessen an diesen Problemen war es nur eine Petitesse, dass Iwan jetzt doch nicht Eingang in die 140-jährige Geschichte der SPD finden wird. Iwan stand für „Innovation, Wachstum, Arbeit, Nachhaltigkeit“. So lautete der Name einer Arbeitsgruppe unter Leitung von Generalsekretär Olaf Scholz, die an einem zusätzlichen Perspektivantrag für den Parteitag arbeitet. In klassischer sozialdemokratischer Politlyrik versucht dieser Antrag, die längerfristigen Ziele sozialdemokratischer Wirtschafts- und Sozialpolitik zu beschreiben. Ob es, wie darin vorgeschlagen, jemals zu einer höheren Erbschaftsteuer oder zu einer Besteuertung von Kapitalerträgen kommen wird, steht in den Sternen. Die Arbeitsgruppe von Scholz soll dafür bis zum Programm-Parteitag im November Vorschläge erarbeiten. Das Ganze ist nicht mehr mit „Iwan“ überschrieben, sondern mit „Wege zu einem neuen Fortschritt“. „Ich bin mal gespannt, was man aus diesen Anfangsbuchstaben machen kann“, sagte der Kanzler gestern. Bitte schön: WzenF.