Schneeweißchen und Rosenrot

Dämonisch und konzentriert, minimalistisch und beschwörend: Die White Stripes, zurzeit willkommenste Abweichung vom Musikalltag, tauchten die Columbiahalle in Weiß, Rot und Schwarz und sorgten damit für heiligen Ernst und echte Entfesselung

Mike White spielt die Gitarre sehr virtuos, seine Stimme weint, jammert und fleht

von CHRISTIANE RÖSINGER

Die bewusste Selbstinszenierung beginnt schon beim Bühnenumbau. Kaum ist das Instrumentarium der Vorband weggeräumt, kommen die White-Stripes-Bühnenhelfer in schwarzen Anzügen, roten Krawatten und kleinen runden schwarzen Hüten und verrichten ihre Arbeit, als zelebrierten sie eine Messe. Da sind sogar die Klebebänder rot, werden die rot-weißen Kabel millimetergenau gerollt und übereinander gelegt, werden die roten Gitarren sorgfältig gestimmt, das weiße Schlagzeug und die Orgel mit der roten Verkleidung mit heiligem Ernst bereitgestellt. Das Auge hört mit, rote Vorhänge fallen über die weiße Bühnenrückwand, über den roten Teppich kommen sie endlich auf die Bühne: Jack und Meg White, er etwas harlekinesk mit rot-schwarzen Hosenbeinen, sie ganz in Weiß-Rot.

Etwas Märchenhaftes, kindlich Böses geht von dem Pärchen aus, die Haare schwarz wie Ebenholz, die Haut weiß wie Schnee, der Mund und die Klamotten rot wie Blut – eine Mischung aus Hänsel und Gretel und der Addams Family.

Auch das Publikum, zumindest die ganz engagierten in den ersten Reihen, tragen zu Ehren der White Stripes rot-weiß gepunktete Handschuhe und Blusen, rot-weiß gestreifte Röcke und Fußballtrikots, rote Hemden und Addias-Jacken, weiße Krawatten. Dramatische Blumengebinde – rote Rosen und weiße Lilien – werden bereit gehalten. Aus nah und fern sind die Fans angereist, viele englisch sprechende, arschcool und ein bisschen gefährlich aussehende Jungs tigern durch die Columbiahalle. Warum sind die White Stripes jetzt so der Hit?

Zuerst einmal, weil das die englischen Musikzeitschriften seit 2001 behaupten und auch die deutschen Kollegen recht begeistert sind. Dann gibt die Pärchenkonstellation auch viel her. Eine normale Indie-Gitarren, Elektronik-, HipHop- oder Rock-Band besteht nun mal in 96 Prozent aller Fälle aus drei bis fünf Männern, da ist so ein geheimnisvoll gemischtgeschlechtliches Duo aus Detroit eine schöne Abwechslung. Hinzu kommt das Verwirrspiel um den Verwandtschaftgrad, sind es nun Geschwister, oder, wie ein englisches Magazin recherchierte, doch geschiedene Eheleute? Interessant, wie die White Stripes alten Indie-Ethos wiederbeleben, wenig Geld im Studio ausgeben, Musik um ihrer selbst willen machen wollen, dem neuen Reichtum gleichgültig gegenüberstehen. Etwas strange, wenn sie sich in Interviews konservativ geben, das Verschwinden alter Werte wie Familie, Religion und Geschlechterunterschied beklagen. Und dann der interessante Farbtick: Die Band, benannt nach dem berühmten amerikanischen Pfefferminzbonbon, schwört auf die Zahl drei. Die Farben Rot, Weiß und Schwarz sollen Stimme, Gitarre und Schlagzeug symbolisieren oder auch Melodie, Rhythmus und Storytelling, die drei Grundsäulen des von ihnen neu ausgegrabenen Blues – nach den vielen Rocktotsagungen und Neuerfindungen mal eine echte Abweichung vom derzeitigen Musikalltag.

So kommt es, dass die White Stripes schon seit einer ganzen Weile berühmt sind, dass die Veranstaltung aus dem Casino in die Columbiahalle verlegt werden musste, dass sich hier alles versammelt hat, was auf sich hält – Berlins Jeunesse dorée ebenso wie zahlreiche Semiprominente – dass vor der Halle zwei traurige Mädchen aus Polen stehen blieben, die nach 22 Stunden Fahrt kein Ticket mehr bekamen.

Es ist aber auch ein schönes Konzert. Selten hat man gesehen, dass zwei Musiker mit so reduzierten Mitteln eine solche Spannung aufgebaut haben. Mike White spielt die Gitarre sehr virtuos, seine Stimme weint, jammert, fleht und explodiert gekonnt, dabei wirkt er respekteinflößend dämonisch. Meg White schlägt sehr minimalistisch, aber präzise wie ein Uhrwerk mit leicht gesenktem Kopf auf die Toms und Becken ein. Eine rauhe, beschwörende Musik kommt dabei heraus.

Es gibt keine großen Pausen oder Gesten, ein Stück folgt dem anderen. Am Schlagzeug ist ein zweites Mikrofon aufgebaut, sodass Mike dort seine Ex oder Schwester direkt ansingen kann. Die Crowd vor der Bühne hopst entfesselt mit, ab und zu werden erschöpfte Fans von den Sicherheitsleuten über die Absperrung gezogen. Alles wie es sein muss bei einem echten Rockkonzert.

Trotzdem muss aber auch angemerkt werden, dass die Bluesexplosionen nach einer Dreiviertelstunde ein ganz klein wenig eintönig wirken, dass die melodisch überzeugenden Stücke vielleicht doch eher die Coverversionen sind, dass die außergewöhnliche Interpretation von Dolly Partons „Jolene“, schon als viertes Stück gespielt, der Höhepunkt des Abends war.