Profitmargen ins Unermessliche gehoben

Interview mit Heinz Cholewa, erster Bevollmächtigter der IG Metall in Bocholt, zu den Plänen von Siemens, 2.000 Arbeitsplätze in der Mobilfunksparte ICM von Bocholt und Kamp-Lintfort nach Ungarn zu verlagern

taz: Wie viele Arbeitsplätze in NRW sind von Siemens Abwanderungsplänen betroffen?

Heinz Cholewa: In Bocholt und Kamp-Lintford weiß ich von 2.000. Aber ich befürchte, dass mehr betroffen sind, wenn Siemens am 31. März seine bundesweiten Verlagerungspläne vorstellt. Wenn da von fünfstelligen Zahlen die Rede ist, wird das auch Auswirkungen für NRW haben.

Fast alle Konkurrenten von Siemens haben Arbeitsplätze ins Ausland verlagert. Kann man am Hochlohnstandort Deutschland überhaupt international konkurrenzfähige High-Tech-Produkte herstellen?

Ich denke ja. Die Ergebnisse des Standorts Bocholt bei der Handyproduktion sind doch nicht schlecht. Hier wird kein Minus gemacht und produktiv gearbeitet.

Warum geht Siemens dann?

Das Ergebnis ist dem Shareholder zu wenig. Es stellt sich doch die Frage, welche Profitmarge ein Unternehmer für angemessen hält. Wenn er die ins Unermessliche hebt, und das scheint mir jetzt bei Siemens der Fall zu sein, dann haben wir in Deutschland mit Nichts eine Chance. Wir werden nicht jedem Lohndumping dieser Welt hinterherhecheln können.

Wie kann man Standorte wie Bocholt und Kamp-Lintford für den Wettbewerb mit dem billigeren Ausland rüsten, ohne Arbeitsplätze abzubauen?

Wenn ich das wüsste, hätte ich die Qualifikation für den Papst.

Es ist ja nicht so, dass in anderen Ländern nur Deppen zu Hause wären. Aber was wir haben, ist die hohe Präzision und die guten Ausbildungsstandards. Dadurch haben wir immer einen Innovationsvorsprung. Wenn wir eine Chance haben wollen, müssen wir diesen Vorteil weiter ausbauen und Forschung und Entwicklung stärken. Damit wir andere und intelligente Projekte machen können.

Was kann die Bocholter IG Metall gegen Siemens überhaupt unternehmen?

Wir haben informiert und unseren Unmut ausgedrückt. Aber gegen einen Arbeitsplatzabbau dieser Größenordnung kann eine lokale IG Metall auch mit noch so viel Fantasie nicht gegen ankommen wird. Manchmal fühlt man sich da wie Don Quichote. Wir brauchen eine politischen Lösung, die in anderen Etagen angesiedelt ist.

Sie treffen sich mit NRW-Wirtschaftsminister Harald Schartau, um eine politische Lösung zu suchen. Was erwarten sie von der Landesregierung?

Natürlich Unterstützung. 2.000 Arbeitsplätze, das kann der Landesregierung doch nicht mehr egal sein. Ein großer Teil der Arbeitsplätze von Siemens ist doch zumindest in der Anfangsphase von Steuergeldern subventioniert worden. Das heißt, dass die politischen Verantwortlichen bewusst Gelder in ein Unternehmen gesteckt haben, mit Aussicht auf innovative Arbeitsplätze und eine sichere Zukunft. Wenn ein Unternehmen nur Mitnahmeeffekte realisieren will, muss die Politik prüfen, wie sie sich Siemens gegenüber in Zukunft aufstellt.

Was sind denn die möglichen Druckmittel?

Flapsig gesagt: Heinrich von Pierer nicht mehr auf die Dienstreisen des Kanzlers mitnehmen. Aber das wäre natürlich auch kontraproduktiv.

INTERVIEW: KLAUS JANSEN