Pfeifen auf dem letzten Loch

Das Ende der Berliner Symphoniker stößt weiter auf massiven Protest. Für die grüne Kulturexpertin Alice Ströver ist das Aus ein gezielter „Dammbruch“ des Landes, dem andere Orchester folgen sollen

VON ROLF LAUTENSCHLÄGER

Natürlich wurde am vergangenen Wochenende nicht nur musiziert, als sei nichts gewesen. In den „Erlebnistag für die ganze Familie“ mit öffentlichen Proben, Instrumentenkunde und viel klassischer Musik mischten sich laute Misstöne. Sie kamen aus dem Mund der Orchestermitglieder sowie aus jenem der Konzertbesucher im Rathaus Schöneberg. Der Vergleich mit dem einst geschlossenen Schiller Theater gehörte noch zu den freundlicheren Assoziationen. Von abwickeln und platt machen war stattdessen die Rede, und von Wut auf den rot-roten Senat. Hatte der doch ein kulturpolitisches Fallbeil auf die Berliner Symphoniker niedersausen lassen. Nach den Haushaltsberatungen für den Etat 2004/2005 war Fakt, was längst die Spatzen von den Dächern pfiffen: Das Land spart sich eines seiner acht Orchester. Die öffentliche Förderung in Höhe von 3,3 Millionen Euro für die Symphoniker wird gestrichen. Das Ensemble kann nach Hause gehen.

Natürlich tut das erst mal keiner. Dennoch ist allen Musikern samt ihrem Intendanten Jochen Thärichen klar, dass man quasi auf dem letzten Loch pfeift. Auf der Klaviatur des Widerstands – nach der Unterschriftenaktion zum Erhalt des Orchesters (fast 70.000 Unterzeichner) und der gescheiterten 1,2-Millionen-Euro-Solidarität anderer Orchester – spielt Thärichen nun als letztes Mittel die Klagekarte beim Verwaltungsgericht, vor dem die Insolvenz abgewendet werden soll. „Wir haben Verträge und Verpflichtungen mit Angestellten und Musikern, die mindestens bis Sommer 2005 reichen“, sagt Thärichen. Außerdem sind andere Engagements verabredet. Kurzfristig sei der Orchesterbetrieb gar nicht einzustellen, so der Intendant.

Ob die Karte sticht, ist zweifelhaft, machen doch vereinzelte langfristige Tarifvereinbarungen mit Musikern kein ganzes Orchester aus. Zwar führt das 1966 gegründete symphonische Orchester rund 30 Konzerte pro Saison in der Philharmonie und im Konzerthaus aus. Und bis zum Ende der Spielzeit – im August 2004 – folgen weitere Auftritte in Schulen, mit Chören und auf Tourneen.

Vielmehr ist aber damit zu rechnen, dass das Land die Symphoniker als das benutzt, was die grüne Kulturpolitikerin Alice Ströver als „kulturpolitischen Dammbruch“ bezeichnet. Vergleichbar mit der Schließung des Schiller Theaters 1993 werde mit der ersten Abwicklung eines Orchesters symbolisch der Weg für andere Klangkörper aus der öffentlichen Förderung vorexerziert, so Ströver. Nach dem Aus für das Schiller Theater folgten das Ende für das Metropol, das Hansatheater und die Schlossparkbühne sowie die Privatisierung des Theater des Westens.

Ströver könnte Recht behalten. Mit Bedacht hat der Senat sich ein Orchester ausgesucht, das sich als Starter-Projekt eignet. Die Symphoniker stehen im Schatten etwa der Philharmoniker, der Staatskapelle oder des Deutschen Symphonie Orchesters Berlin. Lior Shambadal als Chefdirigent hat nicht den Namen wie die Maestros Sir Simon Rattle, Kent Nagano oder Daniel Barenboim. Zugleich ist das „Orchester für die kleinen Leute“, wie selbst Thärichen einräumt, nicht repräsentativ genug im kulturellen Eventrausch der Hauptstadt.

Insbesondere der letzte Punkt hat zum „Aus“ wesentlich mit beigetragen. Kultursenator Thomas Flierl (PDS), der die Symphoniker schon vor Beginn der Etatberatungen auf die Abschussliste gesetzt hatte – weil neun Millionen Euro in fünf Jahren bei den Orchestern gespart werden müssen –, wird darum von der CDU-Kulturexpertin Monika Grütters und der Deutschen Orchestervereinigung kritisiert, er habe nur „zum Schein“ Verhandlungen über den Fortbestand geführt. Gleichzeitig habe der Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) „brutalen Druck“ auf Abgeordnete ausgeübt, die sich für die Symphoniker eingesetzt hätten. Man suchte ein Opfer, sagt Thärichen. „Und wir waren es.“