Aus für das Bremsstudium

Baden-Württembergs Wissenschaftsminister möchte Pädagogen künftig in Trimestern studieren lassen – und so acht Wochen pro Jahr gewinnen. Sein Ziel: Das XXL-Studium für Pauker in spe

VON LAURA FARIELLO, CHRISTIAN FÜLLER
UND PHILIPP RACKWITZ

Das ist die bitterste Erfahrung, die StudentInnen machen. Wenn der lange ruhige Fluss des Studierens beendet ist, trifft sie abrupt der Praxisschock. Im Beruf ist Zeit plötzlich Geld, können Semesterarbeiten nicht verdaddelt werden, gibt es plötzlich harte Termine.

Baden-Württembergs Pädagogik-Studenten haben alle Chancen, dass sie der Zeitschock künftig nicht mehr ganz so heftig trifft. Denn Wissenschaftsminister Peter Frankenberg (CDU) will seine Pädagogischen Hochschulen von der unerträglichen Langsamkeit des Seins befreien – und das Studium auf eine ebenso simple wie wirkungsvolle Art beschleunigen. Statt, wie bisher, in Semestern mit üppigen 24 Wochen vorlesungsfreier Zeit sollen die Pauker in spe in Trimestern studieren. So entstünde ein Gewinn an Studienzeit von acht Wochen pro Jahr. Bei den Trimestern würden die Ferien auf – immer noch luxuriöse – 16 Wochen schrumpfen.

Obwohl die XXL-Studienzeit erst im Wintersemester 2006/2007 starten soll, hebt im Ländle und in Baden bereits das übliche Kriegsgeschrei der Lobbyisten an. „Wie eine Bombe“ treffe Frankenbergs Ankündigung die sechs Lehrerbildungsanstalten Baden-Württembergs, murrte Hans-Jürgen Albers, Rektor der PH Schwäbisch-Gmünd. Bedenken haben, was Wunder, alle, die durch die Trimesterregelung mehr arbeiten müssen: Studenten, Dozenten und Rektoren. Übereinstimmend wird befürchtet, dass Trimester die Pädagogischen Hochschulen national wie international in Forschung und Lehre isolieren könnten und die Qualität der Ausbildung sinken werde – großes Geschütz gegen Frankenbergs vermeintliche Bombe.

Aber die laute Abwehrreaktion kann nicht verbergen, was auf der Hand liegt: Das PH-Studium wird von 3,5 auf drei Jahre verkürzt – ohne jede inhaltliche Einbuße. Des findigen Wissenschaftsministers Frankenberg Idee könnte also die ärgste Studienmisere Deutschlands lindern helfen, das Bummel-und-Brems-Studium. AbsolventInnen gehen hierzulande hart auf die 30 zu, wenn sie die Uni verlassen. Die einen spotten daher gerne über die grauen Panther Europas, andere schmähen deutsche Studis als die faulsten auf dem alten Kontinent. Immerhin, in den EU-Staaten verlassen die Studiosi die Unis drei bis acht Jahre früher, vorneweg die grünschnäbeligen Iren (Durchschnitt 23) und die schnellen Portugiesen (Durchschnitt 23–24).

In der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) hält man die Trimester generell für bedenkenswert. Cleverle Frankenbergs Trimester-Einfall hat Charme. „Was dafür spricht, ist die bessere Nutzung der universitären Infrastruktur“, betont etwa Andrea Frank. Sie ist bei der HRK für Studium und Lehre zuständig und sieht „die Hochschulen im Sommer doch häufig leer stehen“. Und, so die höchste deutsche Studienberaterin, „Trimester können auch deshalb Sinn machen, weil die zeitlich straffere Organisation einen verantwortungsvollen Umgang der Studierenden mit ihrer Lebenszeit ermöglicht“. Das verschleppte Studium, das zeigen jüngste Untersuchungen der großen Minderheit der Dauerläufer unter den Studierenden, führt zu verspäteten, gar verhinderten akademischen Karrieren und nicht selten zu psychischen Störungen.

Freilich, auch in der Bonner Geschäftsstelle der deutschen Uni-Chefs weiß man: Die acht Wochen Zeitgewinn für Seminar oder Vorlesung sind zunächst nur rechnerisch vorhanden. Damit einher geht ein Verlust der Freiarbeit in der Studierstube. Die vorlesungsfreie Zeit heißt nur so, in Wahrheit liegt sie irgendwo zwischen dem Humboldt’schen Studienideal von Einsamkeit und Freiheit und dem schnöden Mammon. Zwei Drittel der Studierenden, weiß das Studentenwerk aus seinen Sozialberichten, müssen jobben. Sonst können sie sich weder das Studium noch den dazugehörigen Ski- oder Badeurlaub leisten.

Allerdings fehlt dem sonst so mutigen Peter Frankenberg diesmal die Chuzpe. Er zögert, wenn es darum geht, sein Mehrarbeitsmodell auf andere als Pädagogische Hochschulen zu übertragen. Das sei schwer möglich, sagt er, der Grund sei Europa. Schließlich seien die Hochschulen eingebettet in überregionale Strukturen und den Integrationsprozess der europäischen Unis. Nur bei den PHs, einem Solitär unter den Hochschulen, seien Trimester zunächst möglich. Allerdings betont Frankenberg: „Die Trimester-Regelung könnte durchaus Modellcharakter bekommen für die Hochschulen in Deutschland insgesamt.“ Niedersachsen habe bereits Interesse bekundet.

Frankenbergs Europa-Bedenken sind nur auf den ersten Blick plausibel. Schaut man genauer hin, zeigt sich: Das deutsche Zwei-Semester-System ist inkompatibel mit internationalen Studienrhythmen. Die Länge der Semesterferien etwa an deutschen Universitäten stellt alles andere in Europa in den Schatten. Mit insgesamt 24 Wochen vorlesungsfreier Zeit haben deutsche Studenten etwa das Doppelte an Seminarferien wie im übrigen Europa. In Spanien, Italien, Frankreich und Großbritannien etwa gibt es gar keine Ferien im Winter. Die Mittelmeerländer haben durchgängige Studienjahre, die regelmäßig Anfang Oktober beginnen und Ende Juni mit den Klausuren enden. Anschließend haben die Studenten zwölf Wochen vorlesungsfreie Zeit. Auch Großbritannien gönnt nur zwölf Wochen vorlesungsfreie Zeit – und gliedert das Studium in Trimester.

Kann Deutschland Trimester einführen? Die Europäisierungsexpertin des Centrums für Hochschulentwicklung, Johanna Witte, wiegt den Kopf. „Alleingänge sind immer schwierig, seitdem der Bologna-Prozess der europäischen Studienharmonisierung begonnen wurde“, sagt sie. Allerdings lasse das System der Credit Points selbstverständlich auch Trimester zu. 60 Punkte sind ein Studienjahr – ob das in Semestern oder Trimestern organisiert wird, bleibt den Staaten überlassen. „Man sieht da nicht hinter die Kulissen“, nennt Witte das europäische Prinzip. Witte kann den Trimestern auch persönlich etwas abgewinnen – weil sie selbst so studiert hat: „Man kann sein Studium effektiver organisieren“, berichtet sie von ihrem Studium an der Uni von Sussex, „da passt viel mehr rein.“

Was schlagen nun die betroffenen Studierenden in Baden-Württemberg als Alternative vor? Sie liefern die gängigen Stichworte: lang, langfristig, langsam. Zunächst, so fordert etwa der Studienvertreter der PH Schwäbisch-Gmünd, André Lehmann, müsse es eine gründliche und gemeinsame Diskussion zwischen Frankenberg und den Betroffenen geben. Sodann gelte es, langfristig die Qualität der Lehrerausbildung zu sichern, nach dem Motto: Es ist besser, den Praxisschock hinauszuschieben, als ihn zu lindern.