IRAK-RESOLUTION: FÜR REALPOLITIK IST ES NOCH ZU FRÜH
: Tief im Dschungel der Rechtlosigkeit

Kaum dass die dritte, überarbeitete Version der US-amerikanischen Irak-Resolution im Weltsicherheitsrat zirkuliert, schwillt der Chor der Willigen an, die dazu auffordern, endlich vom hohen Ross der Rechtsprinzipien abzusteigen und von der geänderten Realität Kenntnis zu nehmen. Man müsse, so auch viele der ursprüngliche Kritiker der Irakintervention, von der amerikanischen Besatzung ausgehen und diese anerkennen, um hierdurch einen Fuß in die Tür zu kriegen. Danach werde es möglich sein, Schritt für Schritt den Einfluss der USA zu begrenzen und den friedlichen Aufbau des Irak unter UNO-Aufsicht ins Werk zu setzen.

Lektionen in Realpolitik sind in der Tat ebenso schmerzlich wie unvermeidlich. Fragt sich nur, von welchen Realitäten wir sprechen. Zu einer realistischen Beurteilung der amerikanischen Politik gehört zuallererst die Feststellung, dass die Bush-Administration die Besetzung des Irak im Rahmen einer Präventivstrategie begreift, die Angriffskriege grundsätzlich legitimiert. Der „Krieg gegen den Terrorismus“ schafft ein politisches Kontinuum, innerhalb dessen von verdeckten Operationen der Special Forces bis zu offenen Kriegshandlungen zu jeder Zeit und an jedem Ort für die USA und ihre wechselnden Helfershelfer alles erlaubt ist. Diese maßlose Überdehung des Rechts auf Selbstverteidigung setzt jeder völkerrechtlichen Eingrenzung und Einhegung des Krieges ein Ende.

Kein Problem, erwidern die gestrengen Lehrmeister der Realpolitik. Das Völkerrecht folgt doch stets der Entwicklung realer Machtkonstellationen. Das „alte“, das „klassische“ Völkerrecht hat angesichts des internationalen Terrorismus ausgedient. Was heißt außerdem schon Völkerrecht? Ein Sachverhalt – fünf Lehrmeinungen. Halten wir uns lieber an den Satz: „Macht gehorcht nur der größeren Macht. Legitimiert wird die Macht durch den Erfolg.“ Diese Maxime stammt von Herrn von Rochau, dem Erfinder des Begriffs „Realpolitik“, ein konvertierter 1848er und Vorbild mancher konvertierter 1968er. Nur dass die nachträgliche Legitimierung der militärischen Machtentfaltung im Irak uns keineswegs zur weltweiten Pax Americana führt, sondern immer tiefer zurück in den Dschungel der Rechtlosigkeit. CHRISTIAN SEMLER