Terror für Jungs, Umwelt für Mädchen

Was Politik ist, bekommen schon Grundschulkinder mit, zeigt eine neue Studie aus Mannheim. Jungen interessieren sich dabei stärker für Parteien, Krieg und Terrorismus, Mädchen für Umweltverschmutzung und Arbeitslosigkeit. Woran liegt das?

Die Mannheimer Forscher haben auch untersucht, was Grundschulkinder als Bürgertugenden ansehen. „Wenn du einen Preis für gute Bürger vergeben könntest, wer sollte einen Preis erhalten?“, wurden die Viertklässler gefragt. 95 Prozent antworteten: „Jemand, der anderen hilft.“ 77 Prozent sagten: „Jemand, der sich immer an Regeln hält“, 61 Prozent: „Jemand, der viel arbeitet.“ Ganz hinten landete: „Jemand, der viel Geld hat.“

Danach gefragt, welche Politiker sie kennen, nennen 41 Prozent der Grundschulkinder Bundeskanzlerin Angela Merkel, sieben Prozent fallen Exkanzler Gerhard Schröder ein, fünf Prozent US-Präsident George W. Bush. Bei den Parteien nennen 26 Prozent die SPD und 22 Prozent die CDU – ein Vorsprung, der auch daran liegen könnte, dass Mannheim eine der wenigen SPD-Hochburgen in Baden-Württemberg ist.

Vor drei Jahren haben die Forscher die Kinder schon einmal befragt, als diese noch in die erste Klasse gingen. Damals erklärte ein siebenjähriges Mädchen den Krieg so: „Der eine, der will das ganze Land, und der andere will das nicht, und der will das andere Land, und dann kämpfen die gegeneinander, und wer gewinnt, der kriegt dann das Land.“ WOS

VON WOLF SCHMIDT

Politik ist nix für Kinder? Oh doch, sagen Forscher am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung. Sie haben für das Projekt „Demokratie Leben Lernen“ rund 750 Viertklässler befragt. Demnach wissen schon Grundschüler um zentrale gesellschaftliche Probleme wie Umweltverschmutzung, Hunger, Arbeitslosigkeit oder Krieg. Fast die Hälfte kann den Namen mindestens eines Politikers nennen, ein Drittel kennt eine konkrete Partei. Und ein Drittel weiß, dass in einer Demokratie „alle Bürger mitbestimmen können“.

Das Politikverständnis von Kindern ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in Deutschland weitgehend unerforscht. Die meisten Studien setzen erst im Jugendalter an, so etwa die bekannte Shell-Jugendstudie.

Laut der Mannheimer Untersuchung, die am Donnerstag vorgestellt wurde, unterscheiden sich das Interesse an und das Wissen über Politik stark nach ethnischer Herkunft, dem Wohnumfeld, aber auch dem Geschlecht der Kinder. So interessieren sich Mädchen in der vierten Klasse stärker für Themen wie Umweltverschmutzung, Hunger oder Arbeitslosigkeit als Jungen. Die wiederum finden Themen wie Krieg oder Terrorismus interessanter.

Doch nicht nur die Themen werden anders gewichtet. Jungen wissen laut der Studie im Durchschnitt besser über Politik Bescheid. Sie können häufiger Namen von Politikern oder Parteien nennen und kennen sich besser aus mit Europa und dem Euro. Bemerkenswert – gelten doch die Jungs derzeit als die heimlichen Bildungsverlierer.

Die Ergebnisse erstaunen auch Markus Tausendpfund, einen der Autoren der Studie. Zwar sei unter Politikwissenschaftlern schon länger bekannt, dass Frauen im Schnitt eine größere Distanz zur Politik zeigten als Männer. „Aber es ist doch überraschend, dass sich im Jahr 2008 noch so große Unterschiede in einem so frühen Alter erkennen lassen.“

Klaus Hurrelmann, Sozialforscher in Bielefeld und Leiter der Shell-Jugendstudie, hält die Ergebnisse für plausibel. Schließlich zeige sich auch im Jugendalter ein Unterschied im Politikverständnis von Jungen und Mädchen. Jungen seien stärker an härteren Themen und klassischer Parteienpolitik interessiert. Für Mädchen spiele das Soziale eine größere Rolle. Hurrelmann vermutet, dass dies auch mit einer „anlagemäßigen Interessenlage“ zu tun hat.

Das Politikverständnis liegt in den Genen? Für „abwegig“ hält Tausendpfund allein den Gedanken. Für ihn steht fest, dass den Mädchen und Jungen früh Geschlechterrollen antrainiert werden, die auch die Unterschiede im politischen Interesse bei den Grundschulkindern erklären. „Jungen werden immer noch auf ein Leben in Beruf und Öffentlichkeit vorbereitet, Mädchen auf eine Rolle als Hausfrau und Mutter.“

Inwiefern die Schule oder doch eher die Eltern hierfür verantwortlich sind, wollen die Forscher sich noch genauer anschauen. Doch die Studie liefert schon jetzt Anhaltspunkte dafür, dass der Einfluss von Papa und Mama entscheidend sein dürfte. Denn die Forscher haben den Kindern auch Fragen zur Gleichberechtigung gestellt. Zwar ist die Mehrheit der Viertklässler der Meinung, dass sowohl Männer als auch Frauen Auto fahren und sich um die Kinder kümmern sollen. Doch mehr als 80 Prozent meinen gleichzeitig, dass Reparaturen im Haus Männersache seien, während 70 Prozent finden, dass Haushalt und Kochen Frauensache sei.

Anders sah das nur eine Gruppe von Kindern: Diejenigen, bei denen sich die Eltern zu Hause die Aufgaben tatsächlich gleichberechtigt teilen.

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