Mutobos Mustermänner

Das Lager Mutobo in Ruanda gilt als Modell für die funktionierende Wiedereingliederung demobilisierter Bürgerkriegskämpfer

MUTOBO taz ■ Wo normalerweise Touristen zu den seltenen Berggorillas auf den ruandischen Vulkanhängen aufbrechen, befindet sich das wichtigste Demobilisierungslager des Afrika der Großen Seen. Wenige Kilometer außerhalb der Stadt Ruhengeri gelegen, ähnelt das Lager Mutobo eher einem einfachen Feriencamp als einem Gefängnis, nicht einmal umzäunt ist es. Ein großer Hangar bildet das Zentrum. Einige der Insassen starren auf den Fernseher, andere nehmen an einer Versammlung teil. Das einzige Anzeichen dafür, dass es sich um eine offizielle Einrichtung handelt, ist die Staatsflagge am Fahnenmast und der bewaffnete Posten an der Einfahrt.

698 ehemalige Kämpfer leben derzeit in Mutobo, 4.000 haben das Lager bislang durchlaufen. Viel ist das noch nicht: Ruandas Regierung spricht von 53.000 ruandischen Milizionären im Kongo, die UNO von 12.000. Aber etwas Vergleichbares zu Mutobo gibt es in der Region nirgends. Diplomaten von Großbritannien bis Südafrika haben sich im Gästebuch des Lagers lobend verewigt.

Die Milizionäre haben sich im Kongo der UNO gestellt, sich entwaffnen und nach Ruanda bringen lassen. Ihr Aufenthalt in Mutobo ist freiwillig, sie dürfen jederzeit wieder gehen. Als Erstes haben sie 50.000 ruandische Franc (70 Euro) bekommen, um die wichtigsten Dingen kaufen zu können – Kleidung, Kochgeschirr, Spitzhacke, Saatgut, Decken. Zwei Monate lang gibt es Schulungen: Kurse über Versöhnung und nationale Einheit, Aids und Malaria. Danach können die Insassen nach Hause fahren. Nach fünf Monaten, erklärt Lagerleiter Sam Barigye, gibt es eine staatliche Wiedereingliederungshilfe, wenn die Betroffenen ein Projekt vorgestellt und gebilligt bekommen haben: einen Bauernhof gründen, ein Haus bauen, eine Berufsausbildung anfangen.

„Wenn ich durch Ruanda fahre, besuche ich frühere Rebellen“, sagt Jean Sayingoza, Präsident der ruandischen Demobilisierungskommission. „Sie stellen in Gitarama Werkzeuge her, verkaufen Hühner in Kigali oder Bohnen auf der Straße nach Gisenyi.“

Major Ernest Katabaratwe hat diesen Weg noch vor sich. Dreizehn Jahre hat der Ruander Krieg geführt. 1990 bis 1994 diente er in der damaligen ruandischen Armee, die die Tutsi-Guerillabewegung RPF (Ruandische Patriotische Front) bekämpfte und 1994 für den Völkermord an Ruandas Tutsi mitverantwortlich war. Beim Fall des Regimes floh diese Armee nach Zaire, und der Major bildete nahe der zairischen Stadt Goma junge Rekruten für die geplante Rückeroberung Ruandas aus.

Stattdessen marschierte 1996 Ruandas neue RPF-Armee in Zaire ein. Major Katabaratwe schloss sich einer irregulären kongolesischen Miliz an, die zu den so genannten Mayi-Mayi gehörte. Er landete bei General Padiri, Kongos mächtigstem Mayi-Mayi-Führer, und gab sich einen kongolesischen Namen – „Major Kasongo“. Denn offiziell waren die Mayi-Mayi kongolesische Nationalisten und nahmen keine Fremden auf.

Von den 698 Insassen im Lager Mutobo kommen 344 aus den Reihen der Mayi-Mayi. Seit im Kongo offiziell Frieden herrscht, ist für Ruander bei ihnen kein Platz mehr. Im November 2003 kapitulierte der wichtigste ruandische Hutu-Militärführer im Kongo: Paul Rwakarabije – Major Ernests einstiger Vorgesetzter. Mit militärischen Ehren kehrte er nach Ruanda zurück.

Damit verärgerte er die noch im Kongo verbliebenen Führer der Exilruander, organisiert in der „Demokratischen Front für die Befreiung Ruandas“ (FDLR). Die wollen nun verhindern, dass weitere Kämpfer zurück nach Ruanda kehren. „Sie sagen den Leuten, man werde sie in Ruanda umbringen und ihre Familien seien im Gefängnis“, erzählt der Major. Nach UN-Angaben werden im Ostkongo 3.000 rückkehrwillige Kämpfer von ihren Kommandeuren als Geiseln gehalten. Ernest Torwa, FDLR-Unterleutnant, musste sich als Bauer verkleiden, um fliehen zu können.

Wie die anderen Insassen von Mutobo redet Major Ernest ohne Scheu. In Zivil gekleidet, ohne Aufpasser, erzählt er seine Lebensgeschichte. „Wir sind nach Hause zurückgekommen, um in Frieden zu leben“, sagt er. „Ich habe in Ruanda niemanden umgebracht, also habe ich keine Angst.“ Am liebsten würde er später eine Autowerkstatt aufmachen.

Kommissionschef Sayingoza ist voll des Lobes für die Rückkehrer. „Wer durch dieses Lager gegangen ist, ist ein besserer Bürger als wir“, findet er. Und in Kigali seien alle Exsoldaten, egal aus welcher Armee, friedlich in einem Veteranenverband vereint. FRANÇOIS MISSER