Kein anonymer Krankenschein

Statt der großen gibt es nur eine kleine Lösung für die Gesundheitsversorgung von papierlosen MigrantInnen. Nach einer Bremer Studie hat die Hälfte der ÄrztInnen mit diesen PatientInnen zu tun

VON EIKEN BRUHN

In Bremen wird es vorerst keinen „anonymen Krankenschein“ geben. Dieser hätte papierlosen MigrantInnen ermöglicht, wie andere Menschen auch zum Arzt zu gehen und anschließend die Kosten über das Sozialamt abzurechnen – ohne Gefahr zu laufen, dass ihre Daten an das Ausländeramt übermittelt werden. Anders als dem Berliner Senat, der nach taz-Informationen trotz der problematischen rechtlichen Lage die Einführung prüfen will, ist Bremen der Schritt offenbar zu groß.

Stattdessen werde ab nächstem Jahr eine „humanitäre Sprechstunde“ eingerichtet, wie der Leiter des sozialmedizinischen Dienstes für Erwachsene im Gesundheitsamt, Thomas Hilbert, am Donnerstagabend auf einer Podiumsdiskussion bestätigte. Zunächst auf drei Jahre befristet sollen ab 2009 ÄrztInnen des Gesundheitsamtes zweimal zwei Stunden pro Woche eine offene Sprechstunde abhalten. 35.000 Euro werde dies im Jahr kosten – zusätzlich zu den Personalkosten für die beiden ÄrztInnen. Welche Räume dafür genutzt werden, sei unklar, ebenso die Ausstattung einer „Clearingsstelle“, so Hilbert. Letztere solle klären, ob jemand bedürftig sei und seinen oder ihren Lebensmittelpunkt in Bremen habe, darüber liefen Gespräche mit der Evangelischen Kirche.

Hilbert verteidigt die Sprechstunde als schnelle, pragmatische Lösung. Vor einer Eingliederung der Papierlosen in die Regelversorgung sei man damit zwar immer noch weit entfernt, aber man könne immerhin eine Basisversorgung bieten.

Derzeit findet diese in einer unübersichtlichen Grauzone statt, abhängig vom zum Teil unentgeltlichen Engagement einzelner ÄrztInnen und Organisationen wie „Medinetz“, die Papierlose beraten und weitervermitteln. 600 solcher PatientInnen haben die „Medinetz“-EhrenämtlerInnen seit der Gründung im Jahr 2000 betreut. Über den tatsächlichen Bedarf sagt diese Zahl allerdings wenig aus, da viele Betroffene sich direkt an die MedizinerInnen wenden, wie eine am Donnerstag vorgestellte Studie – finanziert von der Evangelischen Kirche – offenbart.

143 von 936 angeschriebenen Praxen hatten Fragen zu Papierlosen beantwortet, die Hälfte gab an, Erfahrungen mit dem Thema zu haben. Zur Überraschung von „Medinetz“ waren darunter nur neun dem Verein bekannte Praxen. Dies zeige, dass die Behandlung von Papierlosen zum Arbeitsalltag von ÄrztInnen gehört, sagt die „Medinetz“-Mitarbeiterin Vera Bergmeyer. Zudem sei unklar, wie viele derjenigen, die nicht geantwortet haben, Papierlose behandeln, wie häufig jemand mit einer „geliehenen“ Versicherungskarte komme und wie oft vermeintliche „Touristen“ bar bezahlen. Auffällig sei außerdem, dass nur wenige bei einem Facharzt landen – mit der Ausnahme von GynäkologInnen.

Dies deckt sich mit den Erfahrungen, die „Medinetz“ gemacht hat. Zum einen kämen viele Schwangere, zum anderen ließen sich viele nur im akuten Notfall behandeln, so Vera Bergmeyer. „Chronische Erkrankungen bleiben unbehandelt, Prävention findet nicht statt.“

Der Gesundheitsamt-Vertreter Hilbert machte keine Hoffnungen, dass sich dies mit der Sprechstunde ändern würde. Zwar wolle man mit Ärzten und Kliniken über günstigere Preise verhandeln, so Hilbert. Teure Medikamente, die Betreuung von Risikoschwangeren und andere kostenaufwändige Behandlungen seien aber nicht möglich. „Da muss man über die Aufgabe der Illegalität sprechen, die Gesundheit ist ein höheres Gut.“

In der Diskussion mit dem Publikum wurde allerdings deutlich, dass zum einen die Rückkehr in ein Heimatland lebensgefährlich sein kann und zum anderen selbst eine schwere Erkrankung häufig nicht als Abschiebehindernis anerkannt wird.