Stumme Zeugen und Zivilcourage

Einige von ihnen pochen explizit aufs Lokalkolorit, obwohl sie das nicht nötig hätten. Andere bieten ausgiebige historische Recherchen und leben nicht allein vom kriminalistischen Plot: Neue Krimis aus Hamburg und Schleswig-Holstein

VON PETRA SCHELLEN

Natürlich ist das Phänomen nicht neu. Vor langer Zeit schon hat irgendwer den Regional-, gar den Städtekrimi erfunden, um – ja, warum eigentlich? Um den Schauplatz des Mordens so recht anschaulich zu machen? Um dem Leser und Bewohner der besagten Stadt das wohlige Grauen zu vermitteln, dass Mord und Totschlag gleich nebenan passieren können? Eigentlich haben uns die Medien bereits effektiver zu diesem Grauen verholfen. Möglich ist natürlich auch, dass sich Lokalkolorit in Zeiten der Globalisierung einfach gut verkauft und das alles in Wahrheit die Idee der Marketingstrategen ist und nicht der Autoren.

Aber wie es auch sei – Hamburger Verlage üben sich fleißig in der Herausgabe Hamburg-gebundener Krimis, wie ihre Kollegen in Köln und München das auch tun. Und Verleger und Autoren meinen es bestimmt gut mit uns und all den schönen geographischen Details. Trotzdem fühlt man sich angesichts der offensiven Fahrtrouten- und Ortsbeschreibungen etwa bei Gunter Gerlach ein bisschen überfüttert: Soo genau will man es nun auch wieder nicht wissen. Im Gegenteil: Die Handlung wirkt, je näher sie einem ganz konkret rückt, fast ein bisschen provinziell; der gefühlte Fiktions-Anteil verliert sich mit jedem Straßennamen ein bisschen mehr.

Trotzdem sind Gerlachs neue Krimis „Tod in Hamburg“ sowie „Liebe und Tod in Hamburg“ recht spannend geworden, wenn einem auch nicht das Blut in den Adern gefriert. Nein, Gerlach hat – fast möchte man sagen: brav versucht, sich dem Trash anzudienen. Er hat Bandgitarristen und Erotikshop-Besitzer zu Mordopfern gemacht. Selbstredend hält sich auch Ermittler Lutz Brahms zwecks Recherche großteils in Kneipen, seltener in Privathaushalten auf. Dass sein Vater ihn überdies lieber ins familieneigenen Kaffeeunternehmen einsteigen sähe: Es gehört quasi dazu in Zeiten, in denen die Aufklärung von Morden für einen ordentlichen Krimi längst nicht mehr genügt und auch der unansehnlichste Kommissar noch ein üppig ausgebreitetes Liebesleben haben muss. Doch so unansehnlich ist Brahms anscheinend gar nicht, bedenkt man, dass sich ihm in Kneipen gelegentlich unbekannte Frauen an den Hals werfen.

So weit, so adrett, wäre da nicht die Penetranz, mit der sich Brahms als „hundeartig“ definiert. Dass der Ermittler somit Anspruch auf die sprichwörtliche Spürnase der herzigen Tiere erhebt, sei dem Autor noch verziehen. Nicht aber die ständige Selbstbespiegelung des Protagonisten sowie der Versuch des Autors, selbigen auf den Sockel zu heben. Das wirkt – auch wenn es süffisant klingen soll – unangemessen. Denn dieser Brahms ist nett und in Ordnung, aber er ist kein tief schürfender Charakter. Er ist Ermittler in leichten, flockigen, nicht allzu gruseligen Krimis, und es ist schade, dass der Autor es nicht dabei belassen will.

Katrin McClean hat sich in „Das Kind in der Speicherstadt“ etwas mehr ins Zeug gelegt. Zwar zelebriert auch sie die Hereinzerrung des Privaten in die kriminalistischen Ermittlungen und setzt zudem das Emanzpiationsthema auf die Agenda: Die einzige Polizistin im Team muss, weil weiblich, das stumme Kind mit nach Hause nehmen, das mutmaßlich einen Mord beobachtete. Und wenn auch dies reichlich klischiert daherkommt, birgt dieser Roman doch weit mehr psychologische Feinarbeit als die Gerlach’schen – schon weil man sehr genau hinsehen muss, um die Gesten und Gefühle eines vor Schock stummen Kindes zu deuten.

Trotzdem ihrer Qualitäten bleiben alle drei Hamburg-Krimis an der Oberfläche, vergleicht man sie mit Christoph Ernsts „Kein Tag für Helden“, der in Hamburg und Ostholstein spielt. Dessen Handlung ist auf komplexe Art durchdacht und geschickt durch mehrere Jahrzehnte deutscher Geschichte geführt. Dieser Text lässt nicht den geringsten Verdacht keimen, der Autor habe einem mittelmäßigen Ermittler ein Denkmal setzen wollen. Christoph Ernst geht es in seinem Roman tatsächlich um die Bearbeitung des Holocaust, um das Schicksal der Displaced Persons und von antifaschistischen Kämpfern im französischen Widerstand. Schonungslos blättert er alle Facetten menschlichen Verhaltens in Zeiten des Krieges auf. Der Plot: Ein renommierter, alternder Autor wird bezichtigt, den Roman eines im KZ ermordeten Juden unter seinem eigenen Namen ediert zu haben. Pikant, dass dies sein Erstlingsroman war, der Autor und Kleinverlag in den Nachkriegsjahren zum Durchbruch verhalft. Ein Erpresserbrief kommt; es sieht aus wie Rufmord. Es passieren tatsächliche Morde, abermals in allen Zeitschichten. Der Hintergrund enthüllt sich spät.

Dieser Roman liest sich nicht nicht wie eine flockig-leichte Strandlektüre. Auch sprachlich pflegt er ein weit höheres Niveau als die drei erwähnten Hamburg-Krimis. „Kein Tag für Helden“ ist ein Roman, den man sowohl aufgrund der gekonnt verschlungenen Handlung als auch aufgrund seiner historisch-politischen Komponente liest. Dabei ist de Autor kein Moralist und kein Besserwisser. Er will nicht bekehren und belehren. Er hat allerdings eine sehr sorgfältige Recherche betrieben und teilt deren Resultate mit dem Leser. Und er zollt – das ganz unverhohlen – jenen Menschen Respekt, die während des Nazi-Regimes Zivilcourage und Mut bewiesen.

Gunter Gerlach: Tod in Hamburg. Hamburg 2008. 192 S., 8,95 Euro Ders.: Liebe und Tod in Hamburg. Hamburg 2008. 192 S., 8,95 Euro Katrin McClean: Das Kind in der Speicherstadt. Hamburg 2008. 224 S., 8,95 Euro Christoph Ernst: Kein Tag für Helden. Köln 2008. 304 S., 9,90 Euro