Die Plagen des Alterns

Runderneuert, erholt und glücklich: Die Alternative-Rocker „Placebo“ haben Urlaub vom Ich gemacht und präsentieren im – ausverkauften – Docks ihr neues Album „Sleeping With Ghosts“

Es sei bei der Selbstbefriedigung passiert, erzählte Stefan Olsdal, 29, studierter Bassist der Rockband Placebo, leutselig dem Sender MTV auf die Frage hin, welche Verletzung denn den Ausfall einiger Konzerte verursacht habe. Im britischen Cardiff habe er sich seinen Arm lädiert und daraufhin einige Tage pausieren müssen. Da drängt sich der alte Schulhof-Schmunzler „ist wohl beim Wichsen passiert?!“ geradezu auf im Falle einer Band, die Ende der neunziger Jahre mit einem schon beinahe aufdringlich kultivierten Wir-haben-eine-Menge-Sex-mit-Männchen-und-Weibchen-Image für Furore sorgte.

Doch anscheinend können sie darüber nun schmunzeln, und so ergänzt Brian Molko, 30, studierter Literat sowie Sänger und Gitarrist, nur zu gern, dass eigentlich ja ihr fortschreitendes Alter der Grund für derartige Alltagsunfälle sei. „It‘s the disease of the age, it‘s the disease that we crave“, singt er dann auch folgerichtig in dem Lied „Protect Me From What I Want“ vom neuen, vierten Album Sleeping With Ghosts, dessen Veröffentlichung Molko mit einem neuen streng-kurzen Haarschnitt begleitet.

In aktuellen Interviews gibt sich die Band betont relaxt, posiert milde und wissend lächelnd in hölzernen Fabrik-Lofts und lässt in diesem heimeligen Ambiente gerne einmal das bisherige Leben Revue passieren. Da wäre die böse Zäsur 30. Geburtstag – begleitet vom in der Presse beschmunzelten Haarverlust auf dem Hinterkopf des sicherlich eitlen Sängers. Das nackteste Album sei Sleeping With Ghosts geworden, zumindest textlich gesehen, behauptet dann prompt die Band durch den Mund von Schlagzeuger Steve Hewitt, 32.

Das Cover zeigt einen geisterhaft verschwommenen, nackten weiblichen Körper, der durch einen Mann in Jeans hindurchgleitet. Die Schatten der gern und regelmäßig herausposaunten Libido der Band auf ihren endlosen Tourneen, die fast die letzten sieben Jahre der Inzwischen-Dreißiger einnahmen? Jedenfalls singt der stets mit dem Zusatz „androgyn“ versehene Kettenraucher Brian Molko, Sohn eines Spitzenbänkers und einer sehr religiösen Mutter, der mit seinen Eltern in Belgien, im Libanon und Liberia aufwuchs und später eine Privatschule in Luxemburg besuchte: „Just nineteen, a dream obscene, with six month off for bad behaviour.“

Erstaunlicherweise kleiden Placebo ihre seelische Selbstentblätterung heuer in durchgängig rockige Klänge, produziert von Elektro-Produzent Jim Abbiss, der auch mit Björk und DJ Shadow zusammen arbeitet. Das machen sie gut, doch fehlen die intensiven, eher ruhigen Momente der bisherigen Alben, in denen immer die Stärke der Band lag, seit Placebo 1996 mit der Single „Nancy Boy“ in Erscheinung traten – und einen Newcomer-Traumstart unter den Fittichen von David Bowie absolvierten.

Live wird ihnen diese Besinnung auf die Stromgitarre gut tun, überrannt sind ihre Konzerte ohnehin, auch das Hamburger Docks ist seit Monaten ausverkauft. Zum Trost: Placebo spielen eine Reihe von Festivals im Sommer. VOLKER PESCHEL

mit Caesars: Dienstag, 21 Uhr, Docks ACHTUNG: Das Konzert ist ausverkauft!