Der Schlendrian im Ghetto

Den Bonus des Cinéma Beur in Anspruch genommen für eine mäßig originelle Story? Rabah Ameur-Zaïmeche inszeniert in „Wesh Wesh – Was geht denn hier ab?“ einigermaßen konventionell den Alltag in einer Pariser Vorstadt

von URS RICHTER

Ja – was geht hier ab? Statt kokelnder Müllberge breiten sich in den Pariser Banlieus Fischteiche aus, darin angeln Araberjungs. Nebenan, auf dem Golfplatz, pflegen die Sans Papiers ihr Handicap, statt Autoradios zu stehlen. Im Haman arrangieren dicke Mamas die Ehen ihrer umtriebigen Söhne, statt sie im Knast zu besuchen. Und in der abendlichen Allee lässt sich‘s romantisch daherspazieren unter gelben Laternen und John Coltranes melancholischem „Naïma“-Geflüster, ohne dass Gangs mit Baseballschlägern anrücken.

In Mathieu Kassovitz‘ La Haine, der vor neun Jahren das Cinéma Beur zu einem ersten Publikumserfolg führte, sah das noch anders aus: Ohne Wumme, Kung-Fu und Kampftöle ging da niemand vors Haus, denn in den Migrantensiedlungen leben müssen, bedeutete kämpfen müssen. Gegen Flics, Dealerkonkurrenz und falsche Freunde. Als Epilog auf Kassovitz‘ schwarz-weißen Macho-Darwinismus lässt sich denn auch eine frühe Szene in Wesh Wesh – Was geht denn hier ab? verstehen: Die Herren Altdealer, sie sind vielleicht Ende zwanzig, haben sich zur Ruhe gesetzt um das Backgammon-Brett, und kein Spott, kein Drängen der nachgewachsenen Halbstarken bringt sie wieder auf die Beine.

Alles gut also in den Pariser Vorortslums? Natürlich nicht. Denn der Fischteich ist ein Tümpel, der Golfplatz ein Hundeanger, spazieren gehen will gar niemand, und die Halbstarken rangeln nach wie vor um Drogenhoheit im Quartier. Doch notgedrungen bestimmt vor allem Schlendrian den Alltag im Ghetto, und Rabah Ameur-Zaïmeche, Regisseur von Wesh Wesh – Was geht denn hier ab?, inszeniert diese Alltäglichkeit einigermaßen konventionell. Kein orientalisierter HipHop-Lärm plakatiert das Lebensgefühl der Bewohner, keine kurzatmigen Schnitte treiben ihr Handeln vor sich her. Im äußeren Stil unterscheidet der Film sich nicht von jedem beliebigen Kleinstadtdrama und lenkt mit dieser Zurückhaltung das Augenmerk auf die wahrscheinlich ärgsten Gegner der jungen Leute: die Langeweile, die Untätigkeit.

Exemplarisch dazu gezwungen ist Kamel, der einige Jahre im Knast war, danach abgeschoben wurde in die Heimat seiner marokkanischen Eltern und nun illegal zurückgekehrt ist nach Les Bosquets, der Trabantenstadt bei Paris, in der seine Familie neben Tausenden anderen afro-arabischen Einwanderern lebt. Kamel will nun „sauber bleiben“, doch ohne Papiere bekommt er keinen Job, ohne Job hängt er auf der Straße herum, und dort erwarten ihn bereits rassistische Polizisten – ein Kreislauf. Parallel illustriert der Film an Kamels jüngerem Bruder den vermeintlichen Ausweg aus diesem Zirkel: Mousse erhofft sich vom Drogenhandel schnelles Geld und wiederholt alle Fehler, die der Ältere schon hinter sich hat.

Ameur-Zaïmeche ist selbst aufgewachsen in Les Bosquets und erzählt seine Geschichten also mit der Autorität des Chronisten. In einigen Einstellungen sind gar die Gesichter von Zivilfahndern unkenntlich gemacht, hier ist die Grenze zwischen Dokument und Fiktion bewusst verschleiert. Umso mehr wundert dann, dass die Figurentypologie oft dem Vorabendprogramm entliehen scheint: Die engagierte, aufrechte Junglehrerin, der schmierige Kokser, der arrogant-dumme Bulle und nicht zuletzt Kamel selbst, der merkwürdig geläutert aus dem Knast zurückkehrt in eine Welt, die seine guten Absichten einfach nicht zulässt, sie alle fügen sich nahtlos ins schlichte narrative Raster von TV-Krimis.

Wohlwollend könnte man behaupten, diese filmische Regression spiegele lediglich die soziale wider. Man könnte aber auch argwöhnen, dass Rabah Ameur-Zaïmeche etwas durchschaubar den Cinéma-Beur-Bonus in Anspruch nimmt für eine Story, wie sie ähnlich schon häufig und häufig origineller erzählt wurde. Dass sich seit La Haine das Weltbild des Ghettofilms weiter ausdifferenziert habe, den Beweis jedenfalls bleibt Wesh Wesh – Was geht denn hier ab? schuldig.

Fr, 19 Uhr, Mo, 21.15 Uhr, Di, 19 Uhr, Metropolis