Die andere Seite der Sucht

Freie Träger und Gesundheitsbehörde stellen fest: Die Lebensbedingungen von Drogen- und Alkoholkranken in Hamburg werden immer schlechter

Die Messlatte ist hoch gesetzt: Die Suchthilfe, so verlangt es der Senat, soll Drogenabhängige zum Ausstieg bewegen. Die reine Stoffabhängigkeit aber ist nur eine Seite ihres Problems. Parallel verschlechtern sich die Lebensbedingungen von alkohol- und drogenabhängigen Menschen immer mehr. Das berichtete gestern der Bado e. V., ein Zusammenschluss von freien Trägern und der Gesundheitsbehörde. „Die Klienten sind immer höherer sozialer und justizieller Belastung ausgesetzt“, resümierte Günter Thiel aus dem Bado-Vorstand bei der Präsentation der Datenerhebung für das Vorjahr.

Danach leben nur noch 55 Prozent der schwer drogenabhängigen Männer in einer eigenen Wohnung, während es im Vorjahr noch 60 Prozent waren. Bei den Frauen haben 67 Prozent ein Dach über dem Kopf, 2001 waren es noch 71 Prozent. 74 Prozent aller KonsumentInnen harter Drogen wie Heroin oder Kokain sind arbeitslos, nur knapp die Hälfte verfügt überhaupt über einen Schulabschluss. Thiel widerspricht der These von Innensenator Ronald Schill, dass Hamburg Anziehungspunkt für Drogensüchtige weltweit sei: „Nahezu alle in unseren Einrichtungen Betreuten sind Hamburger.“

Auch bei den Alkoholkranken war im vergangenen Jahr auffällig, dass die psychosoziale Belastung weiter zugenommen hat. Nur gut ein Drittel der betreuten AlkoholikerInnen bezieht Einkommen aus Erwerbstätigkeit, zwei Drittel sind verschuldet. Sehr viele, vor allem der Frauen, leben mit einem suchtmittelabhängigen Partner zusammen. 60 Prozent der Frauen und rund die Hälfte der Männer hat mindestens ein Kind.

Diese Erkenntnis ist vor allem aufgrund einer anderen Zahl Besorgnis erregend: Die Statistik zeigt auch, dass fast die Hälfte der jetzt trinkenden Männer und Frauen selbst alkoholkranke Eltern hatte. „Die Frage ist, was aus deren Kindern eines Tages wird“, sagt Thiel.

Mehr als ein Drittel der im vergangenen Jahr betreuten Drogenabhängigen und gut die Hälfte der Alkoholkranken im vorigen Jahr waren völlig neue KlientInnen in der Suchthilfe. Laut dem Bado-Vorstand spiegelt sich darin wieder, dass durch das Hilfesystem immer wieder in beträchtlicher Größenordnung neuen KlientInnen geholfen wird.

Politische Forderungen leitet der Bado selbst nicht aus seinen Zahlen ab. „Wir liefern die Grundlage für die politische Diskussion“, beschreibt Vorstandsmitglied Frank Gödecke die Aufgabe des Vereines. „Daraus Konsequenzen zu ziehen, ist Aufgabe der Politik.“ ELKE SPANNER