Ins Gezeter gezwungen

Schade: Das Radio-Bremen-Wahlforum wurde dominiert von DVU-Mann Siegfried Tittmann und seinen Anhängern. Zwischen Gebrüll erfuhren die Wähler Interessantes – aber die interessierte mehr ihr Vorgarten als die Zukunft Bremens

taz ■ Sie hatten seinen Sessel sichtbar von den anderen weggerückt, sie drehten mehrfach sein Mikro ab, sie versuchten sein immer noch lautes Krakeele zu ignorieren – und scheiterten dennoch: Siegfried Tittmann von der DVU und seine gut 20 Anhänger dominierten das Radio-Bremen-Wahlforum am Dienstagabend in der Sparkasse am Brill. Man habe den DVU-Mann einladen müssen, sonst hätte der sich eingeklagt, sagte Bremen-Eins-Moderator Stefan Pulß. Und weil sie ihn einladen mussten, mussten für ihn die gleichen Regeln gelten wie für Henning Scherf (SPD), Hartmut Perschau (CDU) und Karoline Linnert (Grüne), die Spitzenkandidaten der in der Bürgerschaft vertretenen Parteien. Die Moderatoren fragen, die Kandidaten antworten, dann darf das Volk. Das bestand aus rund 150 Menschen – und eben einem Haufen Tittmann-Fans. Die meldeten sich zahlreich und gaben ihm stets aufs Neue die Gelegenheit, seine schlichte Sicht der Dinge – „Die Leute haben die Schnauze voll bis obenhin“ – in den Saal zu brüllen. So misslang kurz vor Ende der Legislaturperiode, was sonst in der Bürgerschaft so gut funktionierte: Bisher ignorierten die Volksvertreter ihren braunen Kollegen, bisher konnte Tittmann seine von Gerhard Frey vorgeschriebenen Reden herausschreien und die Abgeordneten lasen derweil Zeitung, plauderten oder gingen aufs Klo. Am Dienstag ging das nicht.

Zwischen Tittmanns Gezeter aber erfuhr das Wahlvolk Spannendes: Dass über den viel beschworenen „Kanzlerbrief“, der Bremen für seine Zustimmung zur Steuerreform den Ausgleich der daraus entstehenden Nachteile verspricht, „schon sehr diskrete Verhandlungen, wie das eingelöst werden kann“, im Gange seien (siehe auch Seite 21). Das erklärte Henning Scherf und: „Ich sehe überhaupt keinen Grund, das infrage zu stellen.“

Dass Bremen am Ende der Sanierungsphase mehr Schulden habe als zuvor, sei die falsche Sicht auf die Dinge, erklärte Hartmut Perschau: Der Milliarde minus stehe ein „dramatisch gewachsenes Vermögen“ gegenüber – im Wert von fünf investierten Milliarden nämlich. Das sieht Scherf genauso: „Wir haben fünf Milliarden investiert“, erklärte er Moderatorin Brigitta Nickelsen, als die bei Space Park und Musical nicht lockerließ, „und Sie streiten mit uns über zwei private Investitionen, wo wir Bruchteile von Risikoübernahmen mitfinanziert haben.“ Gut, der Space Park sei „keine Erfolgsgeschichte, sondern eine Hängepartie“, aber nun sei‘s auch mal gut mit „Zeter- und Mordiogeschrei“: „Wir müssen das jetzt so gut wir können begleiten, damit es noch ein Erfolg wird.“

Dass es mitnichten nur Space Park und Musical waren, mit denen der Senats gebauchlandet sei, betonte Karoline Linnert und zählte locker weitere Stolpersteine auf: Großmarkt, Hemelinger Tunnel, Büropark Oberneuland, das zugeschüttete Hafenbecken, das tiefergelegte Stadion, die Trainingsbahn.

Indes – die Zukunft Bremens interessierte das Publikum wenig. Eher der eigene Vorgarten. Menschen aus Bremen-Nord beschwerten sich über Dioxin, ein Polizist über die Personalkürzungen bei der Polizei, ein Busfahrer über den Umgang mit der BSAG, eine Schwachhauserin über die Mobilfunkantennen vor ihrem Schlafzimmerfenster. Die Politiker antworteten, Tittmann krähte dazwischen, und in Sachen Mobilfunk gab Hartmut Perschau noch einen Einblick in die Kunst politischer Rede: Auf Stefan Pulß‘ präzise gestellte Frage, ob es stimme, dass einmal aufgestellte Antennen in Bremen nicht gegen den Willen der Mobilfunkbetreiber abgebaut werden könnten, antworte Perschau keineswegs mit einem präzisen „Ja“. Er sagte: „Wir müssen kontrollieren, ob es an einzelnen Standorten zur einer Überschreitung der Grenzwerte kommt. Dann können wir einschreiten, eher nicht.“ Susanne Gieffers