Debatte: Nordrhein-Westfalen und die Religionsfreiheit
: Den Islam einbürgern

Wir brauchen einen Dialog zwischen Muslimen, Landesregierung und Politik, der über den Austausch von Höflichkeiten hinausgehen muss

Die Debatte über muslimische Lehrerinnen mit Kopftuch, Religionsunterricht für Muslime, das Schächten, die Gründung muslimischer Jugendeinrichtungen und Moscheebauten wird zum Teil sehr heftig und emotional geführt. Diese Diskussion ist Ausdruck der Tatsache, dass sich eine zunehmend selbstbewusste muslimische Minderheit in Deutschland politisch artikuliert und ihre Rechte im Namen der Religionsfreiheit einfordert. Die Mehrheitsgesellschaft reagiert verunsichert und sieht sich mit der Frage konfrontiert, wie ernst sie die Religionsfreiheit in unserer Gesellschaft nimmt und wo die Grenzen zu den anderen Grundrechten unserer Verfassung zu ziehen sind.

Der Staat hat hier die Aufgabe, einen Interessenausgleich zwischen Mehrheitsgesellschaft und Minderheit herbei zu führen. Mich bewegt dabei insbesondere die Frage der Gerechtigkeit. Ich empfinde es als ungerecht, dass der Staat sich zwar als neutral gegenüber den Religionen bezeichnet, aber ein über Jahrhunderte gewachsenes enges Verhältnis zu den beiden christlichen Kirchen pflegt und gleichzeitig die Ansprüche der Muslime nach gleichberechtigter Teilhabe ignoriert.

Die Kirchen erwarten zu Recht, dass der Staat die Religionsausübung nicht nur toleriert, sondern auch fördert. Damit begründen sie den Anspruch auf staatliche Unterstützung ihrer Religion, etwa beim Bau und Erhalt von Gotteshäusern, bei der Finanzierung von Theologischen Fakultäten oder beim Recht zur Erhebung von Kirchensteuern.

Muslime in Deutschland erwarten zu Recht, mit ihren Anliegen als Gesprächspartner ernst genommen und in ihrer Religionsausübung nicht behindert zu werden, sowohl als Individuum, als auch als religiöse Gemeinschaft. Dieser Erwartung muss die Politik gerecht werden. Geschieht dies auf Dauer nicht, entsteht ein Gefühl permanenter Kränkung und Ausgrenzung. Da sie auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen Diskriminierungserfahrungen machen, beispielsweise beim Zugang zu Arbeits- und Wohnungsmarkt, kann Abschottung gegenüber der Mehrheitsgesellschaft und politische Radikalisierung die fatale Folge sein.

Deshalb brauchen wir einen institutionalisierten Dialog zwischen Muslimen, Landesregierung und Politik, der über den Austausch von Höflichkeiten hinausgehen muss. Es müssen Kompromisslinien gesucht und Regelungen getroffen werden, die für beide Seiten tragbar sind, ob im Religionsunterricht, im Kopftuchstreit oder in allen anderen Muslime in Deutschland betreffenden Fragestellungen. Die Perspektive wird dabei die Gleichstellung im Verhältnis zu den christlichen Kirchen sein. Dieser Prozess des Dialogs wird sicher langwierig und kompliziert. Es wird nicht an jeder Stelle gelingen, sich zu einigen. Aber nur so können Sprachlosigkeit überwunden und Vorurteile abgebaut werden, um zu einem konstruktiven Miteinander zu gelangen. SYBILLE HAUßMANN