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: HELMUT HÖGE über Lebensmittel und -zwecke

„Erst wenn über Fulda die schwarzrote Fahne weht, hat in Deutschland der Sozialismus gesiegt!“ (August Bebel)

Die Anarchisten der Freien Arbeiter-Union (FAU), der deutschen Sektion der altehrwürdigen und weltverzweigten IAA, sind in Ortsgruppen organisiert, die sich wiederum – regional – in vier Himmelrichtungen föderierten. In Berlin gab es infolge der Wiedervereinigung plötzlich eine derart große Ortsgruppe, dass man anfing, stattdessen Branchengruppen zu gründen: erst ein Bildungs- und ein Kultursyndikat und jetzt die GNLL: „Gewerkschaft Naturkost-Landwirtschaft-Lebensmittelindustrie“.

Den Anfang machten einige Gärtner. Die Initiative geht auch auf den Gärtner und Anarchisten Thomas Beckmann aus Gransee zurück, der gerade eine Broschüre über polnische Saisonarbeiter zusammenstellt und auf dem ersten Treffen im FAU-Laden bereits eine „Satzungs- und Arbeitsgrundlage“ für die GNLL-„Ortsgruppe Berlin-Brandenburg“ vorstellte. Demnach ist sie eine „Gewerkschaft nach § 54 BGB“. Über ihre Aufgabe heißt es unter Punkt 2.2.: „Erzielung möglichst günstiger Arbeits- und Lebensbedingungen für die Mitglieder“ – die von der GNLL auch juristischen Beistand bekommen. Das war einem der anwesenden Anarchogenossen bereits passiert: Infolge einer antifaschistischen Aktion sollte er 150 Euro Bußgeld zahlen, diese „Unkosten“ übernahm die FAU.

Unter Punkt 2.3. heißt es: „Schaffung und Organisierung gewerkschaftlicher Kooperativen und Verbraucherorganisationen …“ Die GNLL soll also alle Leute, die zwischen Nahrungsmittel-Produktion, -Veredelung und -Handel bis hin zum Endverbraucher stehen, umfassen, d. h., dass die sich organisieren und untereinander kooperieren. Auf diese Weise entstehen unter Umständen neue „Orts-, Regional- und Betriebsgruppen“ – ad infinitum …

Ja, die Revolution ist eine feine Sache, macht aber viel Arbeit. Umso mehr, wenn man bedenkt, dass wir nicht mal ein halbes Dutzend waren, die da im FAU-Laden zur GNLL-Gründung zusammengeströmt waren. Neben drei Gärtnern war auch noch ein Mitarbeiter des veganen Bioladens in der Pücklerstraße erschienen. Damit war – neben einigen „unnützen Essern“ wie mir – auch das andere Ende der Nahrungskette vertreten.

Daneben ist der Initiator Thomas Beckmann als Gärtnereibetreiber auch noch in der ostdeutschen Öko-Landbauorganisation Gäa aktiv. Er blieb im Übrigen angesichts der großen vor der GNLL liegenden Zukunftsaufgaben gelassen. Für den Anarchisten ist die (stets ehrenamtliche) Organisations- und Funktionsarbeit ein Teil seiner Lebensäußerungen – so wie das Atmen oder das Ausscheiden der Nahrung.

Nietzsche schreibt: Einen Anarchisten ehrt man nicht mit einem Orden, sondern mit einer Hausdurchsuchung. Man sehe sich einen dergestalt Überfallenen nur einmal an: Sein Gesichtsausdruck ähnelt dem eines Verliebten, dem ein Versprechen zuteil wurde. In der März/April-Ausgabe der FAU-Zeitung Direkte Aktion wird berichtet, dass die 15.000 Mitglieder starke schwedische Anarchoorganisation SAC gerade mehrmals von Neonazis überfallen wurde. Diese hatten es dabei vor allem auf das zum Museum umgebaute Geburtshaus von J. E. Hägglund abgesehen – dem später in den USA als Joe Hill berühmt gewordenen Sänger der amerikanischen Arbeiterbewegung.

Über die „anarchistischen Absender“ der italienischen Briefbombenanschläge gegen EU-Politiker schreibt die DA: „Es gibt eine positive Idee des Anarchismus, die im Wesentlichen darin besteht, unter den Voraussetzungen größtmöglicher Freiheit eine Assoziation von Individuen zu schaffen, die jede hierarchische oder autoritäre Struktur hinter sich lässt. Daneben gibt es eine negative Idee, die in der Zerstörung von Staat und Kapital die unmittelbare Voraussetzung dafür sieht, ein freies und selbstbestimmtes Leben führen zu können. In der Wahl der Mittel, dieses geschichtliche Ziel noch beizeiten zu erreichen, sind sich Anarchisten bis heute uneins.“

Die GNLL trifft sich am letzten Donnerstag jeden Monats im FAU-Laden, Straßburger Straße 38