Krisen nur tagsüber

Spezielle Beratung für Mädchen in Not steht vor dem Aus. Freie Träger haben die Verantwortung, aber kein Geld

Mädchen, die dringend Hilfe suchen, weil sie unter sexueller Gewalt oder Essstörungen leiden, müssen sich künftig an die Öffnungszeiten der Jugendämter halten. Die zwei Beratungsstellen des Mädchennotdienstes, die junge Frauen nach 18 Uhr und am Wochenende betreuen, werden vermutlich am 1. April geschlossen. Bisher werden die vier Sozialpädagogen aus dem Topf der Stiftung Kinder in Not bezahlt, doch der Vertrag läuft zum 31. März aus. „Ab nächster Woche ist die Finanzierung komplett ungesichert“, sagt Iris Hölling, die Geschäftsführerin von Wildwasser. Der Verein ist zusammen mit dem Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerk (EJF) Träger des Notdienstes.

Die Beratungsstellen wurden vor drei Jahren speziell für Mädchen geöffnet. Auf Wunsch können diese auch bis zu sechs Wochen in einer der beiden Wohnungen des Mädchennotdienstes verbringen. Auf dieses Konzept hatten sich vor drei Jahren die Jugendämter der Bezirke, der Senat und die beiden Träger Wildwasser und EJF geeinigt. Die mädchenspezifische Betreuung ist laut Kinder- und Jugendhilfegesetz vorgeschrieben. Das Projekt ist einmalig in Berlin. Es gibt zwar noch den Kinder- und den Jugendnotdienst sowie Anlaufstellen in Bezirken, diese sind aber für beide Geschlechter offen. „Gerade Mädchen, die sexuelle Gewalt erlebt haben, zeigen oft ein sexualisiertes Verhalten und sind gefährdet, wieder Opfer zu werden“, begründet Hölling die Notwendigkeit einer homogenen Einrichtung.

In den beiden Wohnungen wurden in den letzten drei Jahren über 600 Teenagerinnen betreut. Doch wegen der Finanzkrise sind laut Hölling auch diese Wohnungen gefährdet. Rund 40 Prozent der betreuten Mädchen verweisen die Jugendämter an den Notdienst. Die Zuweisungen seien aber rückläufig, obwohl der Bedarf nicht gesunken sei, so Hölling. Er vermutet, dass die Bezirke unter steigendem Kostendruck handeln, denn die Hilfen zur Erziehung wurden seit 2000 um 210 Millionen Euro abgeschmolzen. „Wenn eine Maßnahme notwendig ist, wird sie bezahlt“, entgegnet der Pankower Jugendamtsleiter, Siegfried Tümmler. Die geringere Zuweisung könnten mit verbesserter Prävention zusammenhängen: „Es kann sein, dass wir die Kinder und Jugendlichen im Vorfeld besser erreichen.“ ALE