Im Terrorzug nach Nirgendwo

Wie die notfallerfahrene Deutsche Bahn einmal versuchte, mich in die Luft zu sprengen

Was eine wunderbare Idee, die Fahrgäste so lange wie möglich im Zug festzuhalten

Am vergangenen Samstag wollte ich um 16 Uhr im Berliner Brotfabrikkino einer Voraufführung des neuen Wenzel-Storch-Lustspiels „Die Reise ins Glück“ beiwohnen. Nach vielen Jahren und vielen Geldproblemen war der Film endlich fertig gestellt worden. Leider habe ich die Filmvorführung verpasst. Ich war mit der Deutschen Bahn unterwegs.

Als Zuspätkomm-Phobiker war ich bereits um 13 Uhr in Braunschweig in den ICE 692 gestiegen, um ja auch rechtzeitig in Berlin anzukommen. Um 13:48 jedoch latschte mir das Schicksal mit aller Kraft auf die Bremse. Der Zug stoppte überraschend „somewhere in se pampa“, wie ein im Speisewagen neben mir sitzender niederer Pharma-Manager in akzentfreiem Pidgin-Englisch in sein Handy schnatterte. Über die Bordlautsprecher wurde die übliche DB-Lüge von den „technischen Schwierigkeiten“ verbreitet, aufgrund derer sich die Weiterfahrt „auf unbestimmte Zeit“ verzögere. Zehn Minuten später kam die trockene Ansage, dass der Zug wegen einer „polizeilichen Ermittlung“ evakuiert werden müsse. In Kürze, so desinformierte die Stimme weiter, käme eine zweiter ICE, in den wir dann alle umsteigen sollten. Und schon jagten mehrere Polizeiautos mit Blaulicht heran, stoppten auf Höhe des Triebwagens, um dort schließlich hartnäckig zu parken. Niemand stieg aus, nichts passierte.

Inzwischen hatte ein unvorsichtiger Schaffner einem mosernden Fahrgast gegenüber das Gerücht von der „Bombendrohung“ bestätigt, und ich dachte, dass es doch eigentlich eine wunderbare Idee ist, die Fahrgäste in solchen Fällen so lange wie möglich im Zug gefangen zu halten und auf die Explosion warten zu lassen und sie nicht etwa vorschnell aus der Gefahrenzone zu bringen. Aber kurz danach tauchte vor unserem Fenster ein Bahnangestellter auf, der eine orangefarbene Müllwerkerweste mit der Aufschrift „Notfall-Manager“ trug, was mich doch sehr beruhigte.

Als nach einer Dreiviertelstunde der zweite ICE auf dem Nebengleis hielt, begann eine Aktion, die Mut für künftige Katastrophen machte. Lediglich zwei Türen wurden geöffnet, durch die alle 350 Fahrgäste langsam und bedächtigt hindurchgefädelt werden mussten. Da es keinen Bahnsteig gab, wurden Notleiterchen an die Ausgänge angelegt, wobei mir am besten gefiel, wie eine Bahnerin hilflos versuchte, eine der rutschgefährdeten Leitern mit einer Art Geschenkbandschleife an der Tür festzuknoten.

Irgendwann saßen tatsächlich alle im neuen ICE und ich erwartete, dass der Zug nun sofort losfahren würde, aber stattdessen standen wir eine weitere Dreiviertelstunde neben der tickenden Bombe. Begründet wurde dies mit – logo – „technischen Schwierigkeiten“. In diesem Moment versetzte ich mich mit Hilfe einer alten oberhessischen Atemtechnik in eine spirituelle Trance, aus der ich erst Stunden später in Berlin erwachte.

Am nächsten Tag las ich, die Bombendrohung habe es so gar nicht gegeben, vielmehr habe eine mitreisende Frau die Polizei alarmiert und auf „eine herrenlose schwarze Tasche“ hingewiesen. Außerdem habe sie „arabisch aussehende Personen“ gesehen. Einen kurzen Moment lang überlegte ich, ob ich schuld an dem ganzen Chaos gewesen sein könnte. Aber dann fiel mir ein, dass ich ausnahmsweise vollkommen unbehelligt geblieben war. Einen anderen „vermeintlichen Araber“ dagegen hatte die Polizei laut Pressemeldung festgenommen und kontrolliert. Der hatte sich jedoch – ausgerechnet – als US-Bürger entpuppt. Auch der Taschenbesitzer wurde schließlich gefunden, er war nur mal kurz für kleine Terroristen gewesen und ansonsten vollkommen harmlos. HARTMUT EL KURDI