Radikaler Erbe im Untergrund

Der 57-jährige Abdel Asis Rantisi tritt die Nachfolge des ermordeten Hamas-Chefs Scheich Ahmed Jassin an

Sein parteiinterner Kontrahent Mahmud al-Sahar hätte gern Wahlen abgehalten, doch der Nachfolger für den am Sonntag hingerichteten Hamas-Chef Scheich Ahmed Jassin stand fest. Doktor Abdel Asis Rantisi genießt nicht nur breite Rückendeckung im Gaza-Streifen. Auch Chaled Masch’al, der derzeit im Libanon lebende Chef der Hamas-Politabteilung, bestätigte die Nominierung des neuen Hamas-„Generalkommandanten“.

„Noch zu Lebzeiten Jassins bin ich zu seinem Stellvertreter ernannt worden“, erklärte Rantisi gestern vor tausenden Trauernden im Jarmuk-Stadion, „der Stellvertreter übernimmt das Erbe des verstorbenen Führers.“ Es werde ab sofort eine „geheime Führung“ an der Hamas-Spitze stehen, sprach er und tauchte ab.

Israels Ankündigung, auch Rantisi stehe auf der Abschussliste, zwingt ihn in den Untergrund. Schon seit Juni 2003, als er knapp einem israelischen Angriff entkam, hielt sich der 57-Jährige von der Öffentlichkeit fern. Ein Verhalten, das ihm nicht entspricht, denn Rantisi suchte immer das Gespräch mit Journalisten. In fließendem Englisch begrüßte der Kinderarzt ausländische Besucher in seinem Heim, immer freundlich, auch wenn man ihn auf den Terror ansprach – ein Begriff, den er für den „legitimen“ palästinensischen Befreiungskampf ablehnt.

Als er ein Jahr alt war, flohen seine Eltern aus Jawne im heutigen Israel nach Chan Junis, wo er mit acht Geschwistern aufwuchs. Nicht ein einziger „Jude in Palästina“ dürfe verschont bleiben, so Rantisi. Israels Premier Scharon hält er für „einen Lügner und Nazi“. In der Hamas steht er für den radikalen Flügel.

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger ist Rantisi kein Religionsführer, aber kaum weniger charismatisch. International bekannt wurde er nach der Deportation von 400 Hamas-Aktivisten, die im Dezember 1992 nach der Entführung und Ermordung zweier israelischer Soldaten ins südlibanesische Niemandsland ausgewiesen wurden. Rantisi wurde zu ihrem Sprecher und nahm Kontakte zur libanesischen Hisbollah und zu iranischen Fundamentalisten auf.

Nach seiner Rückkehr kam er in israelische Haft, wo er den größten Teil seines Erwachsenenlebens verbrachte. 1983 wurde er erstmals für kurze Zeit eingesperrt, weil er einen Steuerboykott organisiert hatte. Später näherte er sich Jassin, gründete mit ihm die Hamas und wurde 1988 zu zweieinhalb Jahren Haft wegen Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation verurteilt. Die Unterzeichnung der Osloer Erklärung und die Rückkehr der PLO-Führung aus dem Exil bedeuteten für Rantisi nur befristete Freiheit. Ab 1996 nahm ihn die Palästinenser-Polizei wiederholt in Gewahrsam. Die Spannungen zwischen Hamas und Autonomiebehörde erreichten einen Tiefpunkt, als Rantisi die palästinensische Polizei für den Tod eines inhaftierten Hamas-Kämpfers verantwortlich machte. Erst nach Beginn der Intifada im September 2000 kam er dauerhaft auf freien Fuß. SUSANNE KNAUL