Vom Blick über den Tellerrand

Kirsten Baumann, ab April 2009 Chefin des Museums der Arbeit, will nicht mehr nur lokale Industriegeschichte dokumentieren. Vielmehr soll auch die gegenwärtige und künftige Arbeitswelt in den Blick genommen werden

Sie wirkt munter und zupackend, und ein Bündel neuer Ideen hat sie auch: Kirsten Baumann, derzeit stellvertretende Direktorin der Stiftung Bauhaus in Dessau, wird zum 1. April 2009 Leiterin des Museums der Arbeit. Das wurde am Freitag bekannt. Die Stelle war seit dem Wechsel von Direktorin Lisa Kosok ans Hamburgmuseum – Museum für Hamburgische Geschichte – seit Juli vakant. Zwischenzeitlich war das Museum recht unauffällig geblieben.

Das soll jetzt anders werden. Denn zwar hat Baumann in Dessau vor allem die Sammlung und seltener Wechselausstellungen betreut, aber die Defizite des Hamburger Museums sieht sie deutlich: Es reiche auf Dauer nicht, den Verlust bestimmter Berufe zu dokumentieren, findet die 45-Jährige: „Ein Museum der Arbeit sollte auch in die Gegenwart und Zukunft blicken.“

Damit spielt sie auf die Tatsache an, dass sich das 1997 eröffnete Museum vor allem der hiesigen Industriegeschichte widmet und vom ehrfürchtigen Staunen über die Monstrosität ausgestorbener Maschinen lebt. Die lassen sich in den eigenen Werkstätten auch versuchsweise selbst bedienen. „Das alles ist unbedingt wichtig, und das Dokumentieren von Industriearbeit gehört ja auch zur Gründungsidee des Hauses“, sagt Baumann. Nur bedeute die Fixierung aufs Vergangene eben auch Stagnation. „Ich möchte das Museum öffnen für das, was Arbeit heute und morgen bedeutet. Will sagen: über Berufe – etwa im Call-Center oder am Computer – und über die Globalisierung informieren.“ Dazu gehöre natürlich auch die Reflexion über Arbeitslosigkeit und die Entstehung der Arbeitslosenversicherung in den 1920er Jahren.

Als ausdrücklich politisch versteht sich Baumann bei alldem nicht: „Ich bin Historikerin“, sagt sie. „Und obwohl Objektivität natürlich unmöglich ist, werde ich einen sachlichen Zugriff versuchen.“ Aber natürlich, räumt sie ein, sei Arbeit „ein sozialpolitisches Thema“. So ganz unpolitisch ist Kirsten Baumann indes nicht: Promoviert hat sie über völkische und nationalsozialistische Kunstkritik zwischen 1927 und 1939.

Dass im Museum der Arbeit künftig Hamburger Industriegeschichte zu kurz kommen werde, brauche niemand zu fürchten, sagt sie: „Das wird wichtiges Standbein des Hauses bleiben. Aber wir wollen auch über den Tellerrand schauen.“

Wie sich das Museum neben dem Altonaer, dem Hamburg- und dem Helms Museum als stadthistorisches Haus positionieren wird, weiß Baumann noch nicht genau. Prüfstein könnte hier der Umgang mit dem Hafenmuseum am 50er Schuppen sein: Es ist eine Außenstelle des Museums der Arbeit und konkurriert mit dem Museumshafen Övelgönne, den historischen Schiffen in der Hafencity und Peter Tamms Maritimem Museum um schiffsinteressierte Besucher.

„Wir müssen hier eine Nische finden“, sagt Baumann diplomatisch. Immerhin besteche das Hafenmuseum „durch seinen authentischen Charme“. Ein noch lebendigerer Ort soll es werden, und die – in Fachkreisen umstrittenen – Ausflugsfahrten auf restaurierten Schiffen soll es weiterhin geben. Schließlich braucht man Attraktionen.PETRA SCHELLEN