USA hatten Bin Laden seit 1995 im Visier …

… aber kein Interesse an einer Festnahme, sagt der US-Untersuchungsausschuss zum 11. September

BERLIN taz ■ Sie haben Berge von Dokumenten durchforstet und Zeugen in den USA und neun weiteren Ländern befragt. Die Mitarbeiter der Nationalen Kommission über die Terroranschläge des 11. September 2001 wollten die diplomatischen Bemühungen der letzten beiden US-Regierungen bewerten, der Gefahr des islamistischen Terrors zu begegnen. Schon seit 1995 waren Mitarbeitern der Clinton-Administration die terroristischen Aktivitäten Ussama Bin Ladens bekannt. Washington war bewusst, dass die Terrorgefahr nicht länger von Staaten, sondern von eher gestaltlosen, international operierenden Netzwerken ausging. In den folgenden Jahren scheiterten zahlreiche Versuche, den Al-Qaida-Führer ausgeliefert zu bekommen.

1995 lebte Bin Laden im Sudan. Er stand dort unter dem Schutz des radikalen Islamisten Hassan al-Turabi, der in dem afrikanischen Land de facto die Herrschaft ausübte. Der Sudan stand seit 1993 auf Washingtons Liste der Staaten, die den Terrorismus unterstützen und Wirtschaftssanktionen ausgesetzt waren, die der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verhängt hatte. Das Regime in Khartoum war daran interessiert, den internationalen Druck mit Zugeständnissen zu mildern. Die USA nutzten dies und erbaten von Sudans Regierung Geheimdienstinformationen über Bin Ladens Netzwerk. Angeblich hat Khartoum sogar angeboten, den Al-Qaida-Führer an die USA auszuliefern, was die Clinton-Administration stets bestritten hat. Die Kommission fand keine Hinweise darauf, dass es je ein solches Angebot gab.

Die USA hatten damals ohnehin kein Interesse an einer Auslieferung Bin Ladens, schreibt die Kommission in dem am Montag veröffentlichten Zwischenbericht über die Diplomatie der USA. Es gab damals noch keine offizielle Anklage gegen Bin Laden, da keine gerichtsverwertbaren Beweise vorlagen, dass er Verbrechen gegen einen US-Staatsbürger begangen hatte.

Im Mai 1996 floh Bin Laden nach Afghanistan. Erst zwei Tage nach der Flucht, bei der Bin Laden in den Vereinigten Arabischen Emiraten zwischenlandete, erfuhr Washington von dem neuen Aufenthaltsort des saudischen Terror-Finanziers.

Im August 1996 rief er in Afghanistan den Dschihad gegen die in Saudi-Arabien stationierten US-Truppen aus. Anfang 1997 war US-Geheimdiensten bekannt, dass das Terrornetzwerk bin Ladens weltweite Verbindungen hat. Wie die Kommission kritisiert, wurde al-Qaida aber erst im Herbst 1999 vom State Department offiziell als ausländische terroristische Organisation deklariert, obwohl dies rechtlich seit 1996 möglich gewesen wäre. Eine solche Bewertung zieht wirtschaftliche, einwanderungsrechtliche und strafrechtliche Konsequenzen nach sich.

In den folgenden beiden Jahren bemühten sich die USA recht halbherzig, das Taliban-Regime in Afghanistan von der Unterstützung terroristischer Organisationen abzuhalten. Im Dezember 1997 besuchte eine Delegation der Taliban gar die US-Hauptstadt und wurde dort wegen ihres Drogenanbaus und der groben Verletzung der Rechte von Frauen in die Mangel genommen. „Bin Laden wurde kaum erwähnt“, heißt es in dem Bericht.

Im folgenden April forderte Washingtons UN-Botschafter Bill Richardson die Taliban bei einem Besuch in Kabul auf, den Al-Qaida-Chef an die USA auszuliefern. Dies wurde abgelehnt. Auch die Saudis, die lange noch aktive diplomatische Beziehungen zu dem afghanischen Mullah-Regime unterhielten, forderten die Überstellung des Terrorchefs. Nach anfänglichen Zusagen lehnte Taliban-Chef Mullah Omar dies im September 1998 kategorisch ab, was zum Bruch des saudischen Königshauses mit den afghanischen Herrschern führte.

Die US-Regierung habe versäumt, ausreichend Druck auf die Regierungen im Sudan, in Afganistan, in Saudi-Arabien und Pakistan auszuüben, die Bin Laden Schutz gewährten oder über Einfluss auf die Taliban verfügten. Auch deshalb sei ihnen Bin Laden bis heute entkommen.

STEFAN SCHAAF