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: Johannes Rau bricht seine Reise zu Recht ab. Er handelt wie ein moderner Demokrat

Hilfe, die Erpresser sind unter uns! Erst lassen die Spanier nach dem Bombenanschlag von Madrid allen Stolz fahren und wählen ihren Premier ab, um die Terroristen zu beschwichtigen. Und jetzt kapituliert unser eigener Bundespräsident vor der bloßen Ankündigung eines Attentats, gibt dem erpresserischen Druck nach und verzichtet auf den Besuch Dschibutis. Deutschlands Ansehen sinkt ins Aschgraue und das höchste Staatsamt ist, wie man so schön sagt, beschädigt. Wirklich?

 Vielleicht sollten wir einen Augenblick die Luft anhalten. Auch Staatsbesuche sind nicht mehr das, was sie mal waren. Wenn Bruder Johannes zum Ende seiner Amtszeit eine Reise nach Afrika unternimmt, sind keine Prestige-Gesichtspunkte im Spiel, kein Postulat der Ehre zwingt ihn dazu, sich und seine Begleitung einem Sicherheitsrisiko auszusetzen. Die 300 Soldaten der Bundeswehr in und um Dschibuti werden nicht verzagen, weil der Präsident jetzt nicht ihre Kampfmoral hebt. Glaubt zudem wirklich jemand, Rau hätte anlässlich seines Besuches Martial-Schwachsinniges à la „Die deutschen Interessen werden auch am Horn von Afrika verteidigt“ von sich gegeben?

 Natürlich sind politische Gesten wichtig – die Absage des Besuchs von Rau ist nicht dazu angetan, den Ruf Dschibutis als eines sicheren Landes zu erhöhen. Aber wo sich die Militärbasen und, ihnen folgend, unkontrollierbare Immigrantenströme drängeln, gibt es in dieser Hinsicht nicht viel zu verlieren.

 Grundsätzlich sollte man die Reisen von Staatsoberhäuptern von der symbolischen Fracht befreien, die sie noch aus vordemokratischen Zeiten belastet. Zwar unterscheiden sich Regierungs- und Staatsbesuche von Geschäftsreisen, aber auch sie folgen heute mehr dem rationalen Kalkül als dem Transport von Emotionen. Und republikanische Haltung zeigt sich bei Staatsbesuchen mehr in der Fähigkeit, gesellschaftliche Dialoge über die Grenzen anzustoßen als in Ehrbezeugungen. Daran sollte man Präsidenten messen und nicht daran, ob der Diplomatie zuliebe stur am einmal beschlossenen Reiseprogramm festgehalten wird.

 Bei dem Vorwurf, der Reiseabbruch folge der Beschwichtigungspolitik gegenüber den Terroristen, sei daran erinnert, dass die Bundeswehr im Indischen Ozean ihre Überwachungsaufgaben im Rahmen des Kampfs gegen den Terrorismus wahrnimmt. Das kann man von den Amerikanern im Irak nicht gerade behaupten. CHRISTIAN SEMLER