An Aufklärung besteht kein Interesse

Nach der Aktenpanne der Staatsanwaltschaft drohte der Kölner Müllskandalprozess zu platzen. Um ihn zu retten, stellt Richter Baur den Angeklagten milde Urteile in Aussicht. Ex-SPD-Fraktionschef Norbert Rüther könnte sogar freigesprochen werden

Von Heinrich Pachl

Der Kölner Müllskandalprozess geht voraussichtlich im April zu Ende – allerdings anders, als von Richter Martin Baur geplant. Gestern hat er den Plädoyers von Staatsanwalt und Verteidigern vorgegriffen und in umgekehrter Reihenfolge zum regulären Prozessverlauf die möglichen Urteile angesagt und begründet. Es geht um die Millionen, die der Ex-Geschäftsführer der Abfallentsorgungs- und Verwertungsgesellschaft (AVG), Ulrich Eisermann, den Mitangeklagten Norbert Rüther und Sigfrid Michelfelder gegeben haben will – was diese abstreiten.

Durch Stichproben in den 30 Kartons mit Aktenordnern, die die Staatsanwaltschaft erst vor wenigen Tagen dem Gericht übergeben hatte, ist aber die Glaubwürdigkeit Eisermanns nicht mehr gegeben (taz berichtete). Und allein auf seinen Aussagen beruhten ja die Anklage gegen den früheren Kölner SPD-Ratsfraktionschef Rüther und die Beschuldigung des Ex-Managers Michelfelders, soweit dieser nicht selbst gestanden hatte.

Mit Schweißperlen auf der Stirn dürfte Richter Baur die Situation erwogen haben, wären diese Akten erst nach dem Urteilsspruch aufgetaucht. Fehlurteile wurden da wohl gerade nochmal vermieden. Eisermann ist also nicht mehr glaubwürdig, aber dass er damit unglaubwürdig wäre, dazu haben die Akten auch nichts Neues hergegeben. Und dass in ihnen genügend Sprengstoff schlummern könnte, um Rüther und Michelfelder auf anderem Weg zu überführen, ist unwahrscheinlich. Solche Beweise hätten die Staatsanwälte wohl kaum verkommen lassen. Aussetzen und Neuaufrollen bringt also nichts.

Folglich hat das Gericht den Gordischen Knoten zerhauen und in versöhnlichem Vortrag eine Lösung versucht. Danach wird Rüther freigesprochen, Michelfelder bekommt 2 Jahre auf Bewährung und eine Geldstrafe, Eisermann 3 Jahre und 9 Monate. Insgesamt weit weniger, als Richter Baur vor Weihnachten bei seiner Zwischenbilanz in Aussicht stellte – weil er die Anklagepunkte fallen lassen muss, die nur auf den Beschuldigungen von Eisermann beruhen. Rüther ist happy, Michelfelder ein Stein vom Herzen gefallen.

Auch Eisermann müsste mit Richter Baurs Vorschlägen zufrieden sein, denn jeder mögliche Bonus wurde ihm bereits gutgeschrieben, so dass ein neues Verfahren ihm eher Risiken als Vorteil brächte. Seine Haft kann er größtenteils im offenen Vollzug verbringen – mit baldigem Erlass der Reststrafe auf Bewährung bei guter Führung. Für die Angeklagten wäre ein solches Urteil wie ein Weihnachten zu Ostern. Sperrt sich Eisermann, wird sein Verfahren abgetrennt, und die beiden anderen bekommen ihr Urteil trotzdem.

Auf der Verliererstraße wäre eindeutig die Staatsanwaltschaft, die durch Zurückhaltung prozessrelevanter Akten den Schlamassel eingebrockt hat. Ein guter Grund, beim Richtervorschlag mitzuziehen, um einigermaßen das Gesicht zu wahren. Und schließlich und endlich hätte Richter Baur mit seinen Beisitzern und Schöffen das Verfahren vom Hals, das ja beinahe in Justizirrtümern hätte enden könne.

Also insgesamt eine fünffache Win-Situation. Bestechung, Bestechlichkeit und Beihilfe dazu werden geahndet, aber durch das tölpelhafte Versagen der Staatsanwaltschaft ergeht mehr Gnade als Recht. Doch was soll‘s. Welche Strafe auch immer verhängt würde, auf der Strecke blieben die Aufdeckung und vor allem die Beendigung der Korruption bei der Kölner Müllverbrennung.

Aber das hatten sich das Gericht und vor allem die Staatsanwaltschaft auch nicht zum Ziel gesetzt. Sie war auf die Überführung der Täter Michelfelder und Rüther fixiert und hat dabei die Hinweise weggesteckt, mit denen man dem Netzwerk hätte auf die Spur kommen können. Normalerweise heißt es: Operation gelungen, Patient tot. Hier lautet wohl eher die Devise: Patient tot – Operation geht weiter.