MUSTERKNABE LIBYEN: WANDEL IST ERGEBNIS DES KRITISCHEN ENGAGEMENTS
: Normalität ohne Krieg

Wie sich die Zeiten geändert haben. Oberst Muammar al-Gaddafi, ehemaliger Parias des Westens und vom früheren US-Präsidenten Ronald Reagan einst „verrückter Hund“ genannt, erhielt in seinem Beduinenzelt am Rande von Tripolis hohen Besuch. Die Visite des britischen Premiers Tony Blair stellt den bisherigen Höhepunkt der Rückkehr Libyens in die internationale Staatengemeinschaft dar. Gaddafi hat sich vom Oberhaupt eines Schurkenstaats in einen Musterschüler verwandelt. Er hat die Familien der 270 Lockerbie-Opfer entschädigt und sein heimliches Programm zur Produktion von Massenvernichtungswaffen offen gelegt.

Doch welcher Politik ist diese positive Entwicklung geschuldet? Die Antwort auf diese Frage hat weit reichende Konsequenzen für die zukünftige Regelung internationaler Beziehungen und Konflikte. Grundsätzlich existieren dazu zwei unterschiedliche Ansichten. Die Bush-Regierung versucht, sich das Ganze als einen Erfolg des von ihr initiierten Irakkriegs ans Revers zu heften. Nach der Logik: Gaddafi hatte das Beispiel Saddam Hussein vor Augen und wurde dadurch zahm. Das andere politische Lager sieht Gaddafis Einsichten als Erfolg einer langjährigen Politik des „kritischen Engagements“ in Libyen. Die Möglichkeit der Normalisierung habe Gaddafi zur Umkehr gebracht, nicht die Drohung eines Militärschlags. Für das zweite Lager spricht, dass Gaddafis Wunsch nach Normalisierung weitaus älter ist als der Krieg gegen Saddam. Der ehemalige US-Nahostberater unter der Clinton-Regierung, Martin Indyk, hatte vor wenigen Wochen erstmals aufgedeckt, dass Gaddafi schon 1999 Washington in Geheimverhandlungen angeboten hatte, seine Waffenprogramme offen zu legen und in Sachen al-Qaida zu kooperieren. Als Preis hatte er damals eine Normalisierung der Beziehungen gefordert. Washington hatte abgelehnt, weil die Lockerbie-Akte noch nicht geschlossen war.

So scheint es zynisch, den Dialog mit Gaddafi als Rechtfertigung für den Krieg gegen Saddam zu missbrauchen. Das gilt umso mehr, als in Libyen friedlich Waffen abgegeben wurden, während im Irak auch mit Gewalt bis heute keine aufgetaucht sind. KARIM EL-GAWHARY