Schirmmacher ohne Meisterbrief

Weil noch 150.000 Schulabgänger keine Lehrstelle haben: Regierung storniert die Ausbildernorm, setzt das Meisterprivileg schrittweise außer Kraft und droht der Wirtschaft mit einer Ausbildungsplatzabgabe. Handwerk: „Das zieht uns nach unten“

aus Berlin CHRISTIAN FÜLLER

Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger kennen die Erfahrung bereits: Druck von Rot-Grün. Jetzt übt ihn die Bundesregierung auch auf Arbeitgeber und Meister aus. Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) hat gestern eindringlich an die Wirtschaft appelliert, mehr Lehrstellen anzubieten. „Keine Bundesregierung kann hinnehmen, dass bald 60.000 Jugendliche auf der Straße stehen.“ Bulmahn machte deutlich, wer die Verantwortung für ausreichende Ausbildungsplätze trägt. „Jetzt ist die Wirtschaft am Zug.“

Bulmahn mochte nicht bestätigen, dass es bereits konkrete Pläne gebe, die Betriebe per Gesetz zum Ausbilden zu zwingen. Aber ihr Wink mit dem Zaunpfahl, dass joblose Schulabgänger „gesellschaftlich nicht verantwortbar“ seien, zeigt: Die Strafabgabe für Ausbildungsverweigerer steht vor der Tür.

Ein Modell für eine solche „Ausbildungsplatzabgabe“ könnte so aussehen, dass 5.000 Euro fällig werden, wenn ein ausbildungsfähiger Betrieb unter seinen Beschäftigten weniger als 6 Prozent Lehrlinge aufweist. So sollen 250 Millionen Euro hereinkommen, die in Extralehrstellen fließen könnten. Die Bundesanstalt für Arbeit schätzt, dass im Herbst 70.000 junge Leute ohne Lehrstelle dastehen. Derzeit sind es 150.000.

Bulmahn hat gestern aber noch einen zweiten Schritt angekündigt, um die Zahl der Lehrstellen zu erhöhen. Sie wird zum August diesen Jahres die „Ausbildereignungsverordnung“ außer Kraft setzen. Das bedeutet, dass Gesellen, die einen Betrieb führen, ab sofort keine gesonderte Prüfung mehr ablegen müssen, um Lehrherr zu werden. Das könnte laut Ministerin 20.000 Azubis mehr in Jobs bringen.

Die Ausbildernorm wird zunächst nur für fünf Jahre storniert. Sie ist ein erster Schritt, um das so genannte Meisterprivileg zu knacken. Dieses altehrwürdige Rechtsinstitut sieht im Handwerk vor, dass nur Meister ausbilden dürfen. Bislang ist auch im Meisterbrief automatisch eine „Ausbildereignung“ enthalten. Wenn diese nun für Gesellen fällt, dann wird sie auch im Meisterbrief des Handwerks nicht mehr lange zu halten sein.

Das Handwerk reagierte negativ auf das Aussetzen der Ausbildernorm. „Frau Bulmahn will, dass kein für Ausbildung geeigneter Mitarbeiter mehr im Betrieb sein muss“, sagte Alexander Legowski, Sprecher des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, der taz. „Wir vom ZDH aber wollen eine hohe Ausbilderqualität beibehalten.“ Die Maßnahme, so Legowski, sei ein weiterer Schritt, „der uns nach unten rutschen lässt“.

Das Handwerk gilt als der größte Ausbildungsbetrieb der Nation. Über 500.000 der 1,6 Millionen Lehrlinge lernen im Handwerk, das 94 Berufe vom Augenoptiker über den Schirmmacher bis zum Zweiradmechaniker einschließt. Doch auch damit soll bald Schluss sein. Bulmahns Kollege, Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD), will das Meisterprivileg nur noch für 32 „Gewerke“ gelten lassen. Das hieße: Auch Gesellen dürfen künftig Schirmmacher ausbilden.