Henning wieder auf dem Sprung

Zwar wird die SPD in Bremen wohl einige Stimmanteile verlieren, aber 68 Prozent der Bremer wollen ihren Bürgermeister Henning Scherf behalten

Hennig Scherf: einerseits der große Umarmer, andererseits der leicht gekränkte Machtmensch

aus Bremen SUSANNE GIEFFERS

In Bremen ist alles anders. Nicht nur, dass die SPD am Sonntag laut Umfragen ihre Spitzenposition – wenn auch knapp – verteidigen könnte, sie kann sogar den Koalitionspartner wählen. Dass das so ist, liegt vor allem an einem: an Henning. So wird Bürgermeister Scherf selbst von seinen Gegnern liebevoll genannt. Dieser „Henning“, meint resigniert CDU-Fraktionschef Jens Eckhoff, sei in Bremen einfach „beliebter als Stoiber in Bayern“. Tatsächlich wollen laut Umfragen 68 Prozent der Bremer ihren Landeschef behalten.

Dass nach dem kommenden Sonntag in Bremen etwas wirklich anders wird, glaubt daher niemand mehr. Zwar lassen jüngste Umfragen auf Verschiebungen wie Verluste der SPD, einen Wieder-Einzug der FDP in die Bremische Bürgerschaft sowie auf erstarkte Grüne schließen – doch dass die große Koalition fortgesetzt wird, gilt als sicher. Auch das liegt an Scherf. Der 64-Jährige will die Regierungsarbeit mit den Schwarzen fortsetzen, und sein Wille wird wohl geschehen. Weil das aber große Teile seiner Partei bisher nicht wirklich wollten, war die SPD ohne Koalitionsaussage in den Wahlkampf gezogen.

Scherf sagt nicht, dass er mit der CDU will, der Rest sagt nicht, dass er mit den Grünen will – so lautete der parteiinterne Deal, der der CDU ihre Wahlkampflinie vorgab. Absurdester Auswuchs dessen ist eine Wahlpostkarte der Christdemokraten, darauf Arm in Arm zwei kleine Jungs in schwarzroten Ringelpullis. Darüber steht: „Wer Scherf will, muss CDU wählen“. Der andere kleine Junge soll Hartmut Perschau darstellen, Finanzsenator und CDU-Spitzenkandidat, der gegen den „umwerfenden“ Scherf gar nicht erst antrat: Es habe keinen Sinn, hier zu konkurrieren.

Längst hält sich Scherf nicht mehr an die Absprache mit seinen Leuten, macht aus seiner Zuneigung zur CDU keinen Hehl. So musste auch der derzeit als Scherf-Nachfolger gehandelte Fraktionsvorsitzende Jens Böhrnsen, eigentlich Rot-Grün-Sympathisant, jüngst einräumen: „Wir werden mit dem, was Henning Scherf will, konstruktiv umgehen.“

Seit acht Jahren führt der Zweimetermann die große Koalition an. Pikant: Vor seinem Amtsantritt 1995 war Scherf in Nachfolge des Ampel-Bürgermeisters Klaus Wedemeier für Rot-Grün angetreten. Dass er dann Chef von Rot-Schwarz wurde, war Ergebnis eines äußerst knappen Basisentscheids. Seine einstige Lieblingsoption liegt Scherf heute ferner denn je.

Mit diesen Grünen sei kein Staat zu machen, war Anfang des Jahres die Botschaft aus dem Rathaus, als ein Wechsel noch möglich schien. Mit anderen Grünen, so streuten Scherf-Schergen, könnte das anders aussehen. Mit Ralf Fücks vielleicht, einst Bremer Umweltsenator, jetzt Vorsitzender der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin. Oder mit Marieluise Beck, Integrationsbeauftragte der Bundesregierung.

Das wiederum können sich die Bremer Grünen nicht vorstellen – das politische Personal, das in der Bürgerschaft die mit 10 zu 89 Stimmen winzig geratene Opposition anführt, gilt als uneins mit ihren öffentlichkeitswirksamen Berliner Satelliten Fücks und Beck.

Im Umgang mit den Grünen wird denn auch die andere Seite von Henning Scherf sichtbar – die Kehrseite des großen Umarmers, der für jeden ein passendes Wort übrig hat und den die Menschen deshalb so mögen, weil die Dinge so einfach scheinen, wenn er mit sich überschlagender Stimme fast flehend sagt: „Wir sollen die Leute nicht mit Diskussionen in Problematisierungen reinziehen. Wir brauchen Taten, Handlungen, Ergebnisse.“

Scherfs andere Seite nämlich ist die des Machtmenschen, der es nur selten für nötig hält, bei den einmal monatlich stattfindenden Parlamentssitzungen anwesend zu sein, und der es auch wenig wichtig findet, die Legislative über die Senatspolitik auf dem Laufenden zu halten. „Wir werden hier belogen“, stellte die grüne Wirtschaftsexpertin Helga Trüpel fest, als einmal mehr die Veräußerung bremischer Firmenanteile erst im Nachhinein bekannt wurde.

Die Grünen mit ihrer steten Kritik am Sanierungskurs der großen Koalition scheinen Henning Scherf mehr zu nerven als etwas zu erreichen – oder aber sie kränken ihn. Dann kann Scherf ausfallend werden. Als der Grüne Hermann Kuhn ihm kürzlich „starke Anti-Brüssel-Sprüche“ vorwarf, entgegnete Scherf: „Ich erkläre mir Ihre Bitterkeit damit, dass Sie die unterschiedlichen Rollen, die wir haben, nicht respektieren.“ Als Kuhn sich gegen dieses Persönlichwerden verwahrte, stand der Bürgermeister auf und ging.

Weil in Bremen alles ganz anders ist, haben die Genossen an der Weser ihren Wahlkampf auch komplett auf Scherf ausgerichtet und versucht, Bundespolitik außen vor zu halten. Auch den Kanzler. Zur Bundestagswahl sprach Gerhard Schröder noch auf einem zum Bersten gefüllten Marktplatz, ein Dreivierteljahr später durfte er gerade mal ein paar Unternehmen besuchen und mit ein paar Schülern diskutieren.

Mit gutem Grund. Angesichts des Agenda-2010-Frustes könnte der eine oder andere SPD-Anhänger am Sonntag zu Hause bleiben. Wenn aber die Wahlbeteiligung noch niedriger liegt als 1999 (60 Prozent), könnte es für Scherf doch noch in doppelter Hinsicht eng werden. Dieser wird nicht müde zu wiederholen, dass er als Juniorpartner, sprich schwächerer Partner einer großen Koalition nicht mehr zur Verfügung stehe – so weit geht die Liebe unter kleinen Jungs im Ringelpulli denn doch nicht.