Bundeswehr – ihr Feld ist die Welt

Die neuen verteidigungspolitischen Richtlinien sehen den Umbau der deutschen Armee von einer Verteidigungs- in eine Interventionsarmee vor

aus Berlin BETTINA GAUS

Auslandseinsätze sind künftig die Hauptaufgabe der deutschen Armee – auch außerhalb des Nato-Gebiets. Der traditionellen Landesverteidigung, die der Verfassung zufolge der einzige Zweck der Bundeswehr ist, kommt nur noch eine nachrangige Bedeutung zu. Die Einsatzmöglichkeiten der Streitkräfte „bei der Aufgabenwahrnehmung im Inland“ werden erweitert. So weit die Eckpunkte der neuen verteidigungspolitischen Richtlinien, die Verteidigungsminister Peter Struck gestern in Berlin vorstellte.

Die Überarbeitung dieser Richtlinien war seit langem überfällig. Ihre letzte Fassung stammt aus dem Jahr 1992. Damals hatte sich die Bundeswehr noch nicht einmal an dem so genannten humanitären Einsatz von UN-Truppen in Somalia beteiligt, das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts zu Auslandseinsätzen deutscher Streikräfte war noch nicht gesprochen. Und wer seinerzeit vor einer „Militarisierung der Außenpolitik“ und vor einer Entwicklung warnte, die sogar zur Beteiligung des vereinigten Deutschland an Angriffskriegen führen könne, galt in den Augen der Mehrheit als verbohrter, ewig gestriger Ideologe.

Dabei geht selbst aus den alten verteidigungspolitischen Richtlinien unmissverständlich hervor, welcher Kurs schon zu Beginn der 90er-Jahre – offenbar unwiderruflich – eingeschlagen worden war: „Unter den neuen sicherheitspolitischen Verhältnissen lässt sich Sicherheitspolitik weder inhaltlich noch geografisch eingrenzen“, hieß es da. Zu den „legitimen nationalen Interessen“ der Bundesrepublik wurde bereits seinerzeit „die Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt“ gezählt.

Inzwischen hat sich diese Definition des Sicherheitsbegriffs parteiübergreifend als Konsens etabliert. Zumindest solange es nur Industriestaaten und nicht auch Entwicklungsländer sind, die es für ihr gutes Recht halten, sich den ungehinderten, weltweiten Zugang zu Märkten mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verschaffen. Die neuen Richtlinien von Verteidigungsminister Peter Struck haben deshalb bislang weder zu einer breiten Grundsatzdiskussion über Sicherheitspolitik geführt noch zu Streit im Kabinett: Trotz koalitionsinterner Meinungsverschiedenheiten über die Beibehaltung der Wehrpflicht sei die Atmosphäre in der Ministerrunde „angenehm“ gewesen, als das Papier vorgelegt wurde, so Struck.

Wenn es Streit gibt, dann über Detailfragen. Die Bundeswehr soll an immer neuen Einsatzorten immer mehr Aufgaben erfüllen, hat dafür aber erheblich weniger Geld zur Verfügung als zu Zeiten des Kalten Krieges. Deshalb kann sich der Umbau von einer Verteidigungs- in einer Interventionsarmee nicht ohne Einschnitte vollziehen. Weitere neun Standorte sollen mittelfristig geschlossen werden (siehe Kasten).

Umstritten sind solche Entscheidungen wegen des damit verbundenen Verlusts von Arbeitsplätzen und der Schwächung der regionalen Wirtschaft. Entsprechend scharf fiel der Protest betroffener Landespolitiker aus. Die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis zeigte sich „entsetzt“ über die Informationspolitik ihres Parteifreundes Struck: Sie erwarte, „rechtzeitig informiert zu werden, um gegensteuern zu können.“

Der Ärger ist verständlich, dürfte aber kaum von denen geteilt werden, die vom Strukturwandel verschont bleiben. Falls sich an den neuen Richtlinien überhaupt bundespolitischer Streit entzünden sollte, dann am ehesten im Zusammenhang mit der Wehrpflicht – und den erweiterten Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Inland. Alle Überlegungen in letzterer Hinsicht hält der Verteidigungsminister selbst für eine so heikle Neuerung, dass er eine entsprechende „Klarstellung“ im Grundgesetz begrüßen würde. Zugleich wies er gestern ausdrücklich darauf hin, er halte Vorstellungen für „völlig abenteuerlich“ denen zufolge die Bundeswehr auch bei Demonstrationen eingesetzt werden könne. In seinen Gesprächen mit dem Innenminister gehe es vielmehr um eine gesetzliche Neuregelung der Luftsicherung.