der kanzler redet
: It‘s the policy, stupid

So. Der Kanzler hat wieder mal eine Regierungserklärung abgegeben. Den Pulitzer-Preis in der Sparte „Große Politikerreden“ wird er damit wieder nicht gewinnen. Und Deutschland ist nach diesem Auftritt immer noch das gleiche Land wie vorher. Ein Problem? Nein. Und Ja.

KOMMENTARVON JENS KÖNIG

Niemand sollte von einer Rede zu viel erwarten. Selbst Gerhard Schröder und seine Medieneinflüsterer haben inzwischen eingesehen, dass sie mit ihren Dauerankündigungen, mit dieser und jener Rede werde der Kanzler zum großen Befreiungsschlag ausholen oder die sozialdemokratische Erzählung liefern, jede Erwartung enttäuscht haben. Wie machtlos die Politik und ihr Propagandaapparat sein können, beweist eine schlichte Zahl: 42 Prozent aller Deutschen ist der Begriff Agenda 2010 bis heute völlig unbekannt.

Andererseits haben sich der Kanzler und seine Partei immer noch nicht von dem Irrglauben verabschiedet, sie müssten ihre Politik nur besser erklären, dann würden die Bürger sie bald schon wieder lieben. Sie werden dabei von einem politischen „Journalismus“ unterstützt, der die Frage, ob Schröder jetzt eine gute, halb gute oder halb schlechte Rede gehalten hat, zur selbstrefenziellen Königsdisziplin erhebt. Wolfgang Thierse hat das „Vermittlungsproblem“ der SPD interessant interpretiert. Ein Teil der Bürger, sagt er, hätte ein Wahrnehmungsproblem: die sich radikal verändernden Voraussetzungen für die Zukunft des Sozialstaates ernst zu nehmen. Thierse hat Recht. Das, was wir Bürger von der SPD verlangen – mehr Mut, mehr Einsatz, mehr Orientierung –, sind wir oft selbst nicht bereit zu geben. So gesehen dient die Partei dem ganzen Land als Sündenbock.

Aber Schröder und die SPD haben auch ein Wahrnehmungsproblem. Das Urteil der Bürger richtet sich nach einem, fast ist man geneigt zu sagen: altmodischen Kriterium. Sie beurteilen Politik nach ihrem Ergebnis, nicht nach dem Reden über Politik. Die Agenda 2010, so richtig sie in ihrem Grundansatz ist, hat viele Versprechen (noch) nicht eingelöst. Die Arbeitslosigkeit ist immer noch dramatisch hoch. Die Reformen bei Gesundheit, Rente und Pflege sind bislang nur hektische Notoperationen.

Das haben die Bürger schon richtig verstanden. Deswegen sagen 76 Prozent der Deutschen zu Recht, dass die Politik der Agenda 2010 sozial ungerecht ist. Schröder sollte sich erinnern, dass er kein Mann des Wortes ist. Er ist nicht Bundespräsident. Er ist Kanzler. It’s the policy, stupid.