Eine italienische Reise

Vom alternativen Kollektiv zum bürgerlichen Kaffeetisch: Vor 40 Jahren gründete Klaus Wagenbach seinen Verlag, mit dem er ein Stück linker Geschichte schrieb. Ein Hausbesuch zum Jubiläum

VON ANNE KRAUME

Ausgerechnet Wilmersdorf: Der Stadtteil strahlt eine irgendwie urbane Ruhe aus an diesem verfrühten Frühlingsnachmittag. Rund um den Ludwigkirchplatz mit seinen noch kahlen Bäumen sitzen Menschen in Cafés vor ihren Torten, alte Damen führen ihre Hunde aus und Mütter ihre kleinen Kinder. Um die Ecke bei Wagenbach in der Emser Straße fordert ein Schild im Treppenhaus auf, einzutreten, ohne vorher zu klingeln. Man versteht sich bei Wagenbach als „unabhängiger Verlag für wilde Leser“.

Susanne Schüssler, die vor zwei Jahren die Leitung des Verlags von ihrem Mann Klaus Wagenbach übernommen hat, sitzt hinter ihrer silbernen Teekanne am Schreibtisch. Beim Eintreten schlägt der Wind einen der weit offen stehenden Fensterflügel zu. An der Pinnwand hinter ihr hängt neben dringenden Faxen und Korrekturlisten eine bunte Kinderzeichnung. Die offene Tür des großen hellen Büros schmückt ein grün-weiß-rotes Italienplakat. Susanne Schüssler greift nach der Milch, die im Glaskrug neben dem großen Rosenstrauß auf dem Tisch steht.

Die Rosen haben dieselbe Farbe wie ihr Pullover und ihr Lippenstift. Und wie die Leineneinbände der Bücher aus der vielleicht bekanntesten Reihe des Wagenbach Verlags, der Saltoreihe – das knallige klare Rot ist dank der erfolgreichen schmalen Bändchen längst zu der Wagenbachfarbe schlechthin avanciert.

Deshalb darf an dieser Stelle auch der Hinweis auf die vom Verlagsgründer Klaus Wagenbach gern getragenen, viel zitierten und darum legendären roten Socken nicht fehlen: Der Wagenbach Verlag ist trotz der gutbürgerlichen Wilmersdorfer Beschaulichkeit ein politischer Verlag, und er ist ein linker Verlag. Er ist das von Anfang an gewesen – bekannt geworden als Verlag, der Ulrike Meinhof, Franz Kafka und Erich Fried verlegte. Bevor Klaus Wagenbach ihn im Herbst 1964 gründete, war er Lektor bei Fischer gewesen – bis er den Job 1962 seiner Ansichten wegen loswurde. „Reaktionäres oder auch nur Dinge, die den Zustand, den wir haben, so belassen möchten, wird man in unserem Programm nicht finden“, erklärt die Verlagschefin das fortwirkende Selbstverständnis des Verlags. Was man beim Blick ins Verlagsprogramm aus diesem Frühjahr also an Politik im weitesten Sinne findet, sind Bücher wie „Die Demokratie beim Wort nehmen“ von dem Italiener Paolo Flores d’Arcais oder Titel, die sich zum Beispiel mit den Folgen des 11. Septembers auseinander setzen. „Aufsätze und Polemiken“ von Ulrike Meinhof stehen neben einem Band der Kulturwissenschaftlerin Ulrike Brunotte, die unter dem Titel „Zwischen Eros und Krieg“ Männerbünde und Rituale in der Moderne erforscht.

Aber genau diesen schlichten Blick ins Programm findet Susanne Schüssler zu kurzsichtig und zu einseitig, als dass man damit zu einem Urteil über die politische Ausrichtung des Verlags kommen könnte: Ihr geht es nämlich auch bei literarischen Texten darum, wo ihre Autoren politisch stehen. Ausführlich erzählt sie deshalb von der schottischen Schriftstellerin A. L. Kennedy und davon, dass man im Verlag begeistert von dieser Autorin und ihren Texten war, ohne sie aber persönlich zu kennen. Erst sehr viel später erfuhr man zufällig, dass Kennedy in Großbritannien auch politische Kolumnen für Zeitungen schreibt, und dass sie ehrenamtlich in Gefängnissen arbeitet. „Man sollte den Begriff ‚politisch‘ eben nicht immer so eng sehen, nicht immer nur im Sinne von ‚politisch korrekt‘“, findet Susanne Schüssler. Ihre Überzeugtheit dabei lässt fast vergessen, dass das Beispiel mit dem ehrenamtlichen Engagement von A. L. Kennedy gerade weniger in die Kategorie „politisch“ einzuordnen wäre als vielmehr in die Kategorie “politisch korrekt“.

Gegründet wurde der Wagenbach Verlag im Herbst 1964; die ersten Bücher erscheinen in der schwarz kartonierten Quartheftreihe im März 1965. Sehr bald darauf scheitert das Projekt von Klaus Wagenbach, einen deutsch-deutschen Ost-West-Verlag zu etablieren: Der Verleger bekommt wegen der Publikation eines Bands mit Biermann-Gedichten in der DDR nicht nur Einreise-, sondern auch Transitverbot. Ende der Sechzigerjahre entwickelt sich Wagenbach zum Sprachrohr der Studentenbewegung; in den politisierten Siebzigern verpassen ihm die politischen Gegner das Etikett „Baader-Meinhof-Verlag“. In dieser Zeit ist das Unternehmen bereits ein Kollektiv mit „Verlagsverfassung“, in dem alle Mitarbeiter dasselbe Gehalt und alle Autoren dasselbe Honorar bekommen. Diskussionen um den richtigen Kurs sind es, die 1973 dann zur Abspaltung der Rotbuch-Serie führen, die bis dahin einen politischen Schwerpunkt bei Wagenbach bildete: Rotbuch wird ein eigener Verlag.

14 Jahre später beginnt die Gratwanderung, die das Wesen des Verlags bis heute prägt: die zwischen den „linken“ Ansprüchen einerseits und der Notwendigkeit, sich einen breiteren Leser- und vor allem Käuferkreis zu erschließen, andererseits. Klaus Wagenbach hat seine Reaktion auf diese Notwendigkeit einmal den Versuch genannt, „auf den bürgerlichen Kaffeetisch zu kommen“. Dementsprechend startet der Verlag 1987 mit seiner Saltoreihe, die leuchtend rot ist wie die demonstrativ formulierten politischen Überzeugungen, aber leichter verdauliche Inhalte hat: „Die Küche der Toskana“, „Casanovas Venedig“, „Ach, die Frauen!“ oder einfach nur „Mallorca!“. Schöne Bücher in Leinen für zwölf, dreizehn Euro, die man kauft, um sie zu verschenken.

„Unser Anliegen waren immer schön gemachte Bücher zu einem demokratischen Preis“, spannt Susanne Schüssler den Bogen zwischen Kollektiv und Kaffeetisch. Ein klares Bild von seinen Lesern hat der Verlag zwar nicht („Den typischen Wagenbach-Leser gibt es nicht – ich hoffe, er ist gebildet und neugierig!“, sagt die Verlagschefin). Trotzdem setzt man in Berlin- Wilmersdorf nicht nur darauf, dass diese unbekannten Leser „wild“ sind, sondern auch darauf, dass sie treu sind: „Wenn Sie in ein großes Buchkaufhaus gehen, und sich denken, Sie könnten von den ganzen Covern die Verlagsnamen wegradieren, dann wüssten Sie nicht, wo die einzelnen Bücher erscheinen. Welcher Verlag sieht wie aus? Ich glaube aber, dass Leser auch nach Marken schauen“, so formuliert Susanne Schüssler eine Erkenntnis, die eher aus der Verkaufspraxis als aus dem Inventar linker Ideen zu stammen scheint. Andererseits ist es wohl diese Erkenntnis, die dem Verlag die Unabhängigkeit gesichert hat.

Die äußerliche Wiedererkennbarkeit seiner Buchreihen ist ein Teil des Marketingkonzepts, mit dem der Verlag Erfolg hat, die inhaltlichen Schwerpunkte sind der andere. Dazu gehören neben den explizit politischen Titeln, auf die der Verlag so viel Wert legt, seit vielen Jahren vor allem Bücher über Italien und von italienischen Autoren. Diese Orientierung hat dem Wagenbach Verlag eine ganze Reihe von Lesern gebracht, und sie hat viele von diesen Lesern über Jahre hinweg bei der Stange gehalten: Sie dürfte mit einer Entwicklungslinie der deutschen Linken korrespondieren, die vom Radikalismus der italienischen Linken zum Häuschen in der Toskana führte.

Braucht man solche Nischen, um sich heute auf dem Markt behaupten zu können? „Wenn man sich keine Nischen sucht, dann hat man auch kein Profil“, sagt Susanne Schüssler, die zwar promovierte Germanistin ist, aber in den vierzehn Jahren, die sie schon bei Wagenbach arbeitet, durchaus auch das Verkaufen gelernt hat.

In dem Jubiläumsprogramm, das sich Wagenbach zum Vierzigsten schenkt, leuchtet der Verlag selbstbewusst die Nischen aus, auf die er sich spezialisiert hat: „Wir machen ganz bewusst gebundene Bücher, und wir gehen auch ganz bewusst gegen den Trend, der allen Büchern irgendwelche aufgeblasenen Motive auf den Umschlag packt. Wir machen kräftige Farben, aber keine Bilder, nur Schrift“, erklärt die Verlagschefin das Jubiläumsdesign. So sehen jetzt also sechs Neuauflagen von Büchern aus, die im Laufe der Zeit in irgendeiner Form wichtig für den Verlag gewesen sind: Luigi Malerba mit seinen „Nackten Masken“ gehört dazu, Erich Frieds „Gesammelte Liebesgedichte“ und Houellebecqs „Ausweitung der Kampfzone“. Auch hier ist bezeichnend, dass zu den ausgewählten Büchern nicht nur solche gehören, die die inhaltliche Linie des Verlags geprägt haben – so wie Malerba als Repräsentant des italienischen Schwerpunkts oder Houellebecq als erfolgreicher Vertreter einer jüngeren Generation von Autoren –, sondern dass auch Kassenschlager wie Erich Fried dabei sein dürfen.

Die Wiederauflagen von erfolgreichen Büchern sind typisch für das Bewusstsein für die eigene Geschichte, das bei Wagenbach gepflegt wird. Außer diesen sechs Neuauflagen gibt es aber noch ein weiteres Geburtstagsgeschenk des Verlags an sich selbst und an seine Leser: In einem Almanach mit dem Titel „Warum so verlegen?“ lässt Klaus Wagenbach die zurückliegenden vier Jahrzehnte Revue passieren.

Verlegen ist man aber keineswegs ob der eigenen Geschichte, deshalb ist im Titel das Wort „so“ auch diskret kursiv gesetzt. So verlegen, das bedeutet, dass sich das Verlagsprogramm im Laufe dieser Jahre zwar verändert haben mag – es gibt inzwischen mehr junge Autoren wie Kennedy oder Houellebecq und mehr Übersetzungen aus anderen europäischen Sprachen außer dem Italienischen. Es bedeutet aber auch, dass im Inneren des Hauses vieles gleich geblieben ist.

Es mag erklärtes und oft formuliertes Ziel bei Wagenbach sein, keine Bücher zu verlegen, die den Status quo in der Gesellschaft beibehalten wollen – aber eigene Traditionen und Rituale werden sehr ausführlich gepflegt. Zum Beispiel gibt es noch immer das Prinzip des Konsenslektorats – jeder von den vier Lektoren, zu denen auch Susanne Schüssler und Klaus Wagenbach gehören, muss der Entscheidung für oder gegen ein Buch zustimmen. Und mittags, so geht zumindest die Geschichte über ein anderes Beispiel, versammeln sich alle Anwesenden zum gemeinsamen Essen am Verlagsmittagstisch.

Ein letztes Beispiel für die viel beschworene Verlagskultur: Auch die Arbeitszeiten werden bei Wagenbach schon immer flexibel gehandhabt: Von den 14 Mitarbeitern bei Wagenbach sind 12 weiblich, viele haben Kinder. Manche arbeiten deshalb nur 40, andere 60 oder 80 Prozent der normalen Arbeitszeit – und alle duzen die Chefin. Die ist es auch, die von den flexiblen Arbeitszeiten schwärmt und überzeugt ist: „Man verbringt ja doch einen Großteil seines wachen Lebens bei der Arbeit. Das sollte man mit Menschen tun, die man gern hat!“

Das einstige Verlagskollektiv ist heute eine große Familie, man lebt und liest im bürgerlichen Westen von Berlin. Während Mitstreiter von einst und Nachfolger im Geist den Marsch durch die Institutionen angetreten haben, ist der „Baader-Meinhof-Verlag“ selbst zur Institution geworden.

Mehr denn je sind nun Managementqualitäten gefragt: Seit 2000 ist Susanne Schüssler Geschäftsführerin und seit Anfang 2002 Hauptgesellschafterin des Verlags. Sie hätte sich gewünscht, in einer Situation anfangen zu dürfen, die wirtschaftlich ein bisschen einfacher und „gemütlicher“ gewesen wäre, sagt sie. Und fügt hinzu, dass sie bisher „zu viel Zeit beim Rechnen und zu wenig Zeit mit der Verwirklichung von Ideen“ verbracht habe. Trotzdem: Die Chancen stehen gut, dass Wagenbach auch unter Susanne Schüssler weiter seine „wilden Leser“ finden wird.