MATTHIAS URBACH über DER PERFEKTE KAUF
: Irgendwie alles reduziert

Ein Hemd ist schnell gekauft. Dass es nicht schön ist, stellt sich oft spät heraus. Das hat Konsequenzen!

Ein Mann betritt Berlins berühmtes „Kaufhaus des Westens“, das „KaDeWe“ und will ein knitteriges, offensichtlich getragenes Hemd zurückgeben. Er habe es vor vier Monaten hier gekauft, behauptet er.

Und, wichtiger noch: Er habe mit dem Hersteller, der Firma Dockers, telefoniert und die Rückgabe abgesprochen. Die hätten sich doch inzwischen sicher hier, im KaDeWe, gemeldet? Keiner der Dienst habenden Mitarbeiter hat so einen Anruf erhalten. Natürlich ist es Samstag – und ein Anruf bei Dockers unmöglich.

Der Abteilungsleiter will den Kassenbon sehen. Unser Mann zieht einen zerknitterten Zettel aus der Tasche, schaut drauf und murmelt: „Oh!“ Er hat leider ganz, wirklich ganz „aus Versehen“ den falschen Bon eingesteckt.

Was für ein Idiot. Was für eine dreiste Masche.

Nun: Der Idiot war ich.

Ich hasse Umtauschen. Ich finde schon kaum Zeit, etwas einzukaufen. Muss ich mich dann aus irgendeinem Grund wieder von der Ware trennen, gibt es regelmäßig Ärger. Mal kriege ich eine Gutschrift, die ich nie wieder loswerde. Mal stellt der Händler sich quer, weil die Ware reduziert war. Ist inzwischen nicht irgendwie alles reduziert?

Dann kam die Sache mit dem Hemd. Das elegante Dockers-Shirt hängt monatelang an der Tür meines Kleiderschranks, zusammen mit einem braun gemusterten Hemd von Esprit. Wenn ich eines von beiden trage, juckt meine Haut, meine Nase zieht sich zu, ich bekomme Kopfweh. Offenbar eine allergische Reaktion. Vielleicht die Appretur? Das kommt schon mal vor. Neue Klamotten kommen bei mir deshalb grundsätzlich erst mal in die Wäsche – danach gab’s eigentlich noch nie Probleme.

Dreimal ziehe ich das Hemd von Dockers an, um es zu testen. Viermal das von Esprit. Dazwischen Waschen und Trocknen. Immer wieder. Das Hemd von Esprit lasse ich sogar chemisch reinigen. Das von Dockers wasche und trockne ich schließlich heißer, als das Wäschezeichen erlaubt. Das Jucken bleibt.

„Wolltest du die nicht reklamieren?“, ermahnt mich meine Liebste regelmäßig, wenn wir uns vorm Kleiderschrank begegnen. „Aber die sehen so gut aus“, seufze ich dann. „Gut am Schrank?“, ist die nüchterne Replik. Doch ich nehme mir vor, sie ein letztes Mal zu waschen.

Kann ich überhaupt noch umtauschen? Welcher Händler nimmt gebrauchte Kleidung zurück? Als ich mich endlich aufraffe, die Sache anzugehen, wende ich mich direkt an die Hersteller.

Die Telefonzentrale von Esprit in Ratingen verbindet mich mit der Abteilung „Retour“. Eine resolute Frau kann sich mein Problem nicht erklären: „Keine allergenen, keine reizenden Stoffe“, das sei Esprits „Firmenphilosophie“. Trotzdem soll ich das Hemd unfrei einschicken, um es im Espritlabor untersuchen zu lassen. Drei Wochen später erhalte ich einen Brief: „Mängel können hier nicht bestätigt werden“, doch „auf Kulanzbasis“ möchte man mir „eine Entschädigung in Höhe von 20 Euro anbieten“ – immerhin die Hälfte des Ladenpreises.

Bei Dockers in Heusenstamm tönt Rockmusik aus der Leitung, während man mich weiterleitet. Ihr sei so was noch nicht untergekommen, erklärt mir die Frau von der Reklamation. Vielleicht hänge mein Problem damit zusammen, dass das Hemd Wasser abweisend mit Teflon imprägniert sei. „Es tut mir natürlich sehr Leid“, sagt sie – und bittet mich, es beim Händler zurückzugeben. Dockers könne das nicht direkt abwickeln – wegen der Gewinnspanne des Kaufhauses. Ihr Vertrieb werde im KaDeWe Bescheid geben.

Vier Tage später stehe ich also mit meinem Sohn und dem Hemd im Kaufhaus des Westens. Der unglaublich zuvorkommende Abteilungsleiter weiß von nichts, „aber wenn sie das so mit der Firma Dockers besprochen haben, wird das schon stimmen“. Und ich stelle gerade fest, dass ich den falschen Bon eingesteckt habe.

„Dann kommen Sie doch einfach noch mal vorbei“, sagt er anhaltend freundlich.

„Ich schaffe das leider nicht so schnell“, wende ich ein. Schließlich wohne ich am anderen Ende der Stadt.

Er mustert mich eine Sekunde kurz.

„Ach was, Herr Urbach, wir machen das einfach ohne Bon“, sagt er – und wendet sich an die Verkäuferin: „Haben wir noch mal so ein Hemd für die Artikelnummer?“ Zwei Minuten später kommt sie mit einem identischen Hemd zurück. Es kostet statt 75 Euro inzwischen nur noch 20 Euro. Ich spüre Hitze in den Ohren. „Ich könnte Ihnen den Bon schicken“, stammle ich.

„Vertrauen gegen Vertrauen, Herr Urbach. Wir kriegen das schon geregelt mit Dockers.“

Machen mich meine knallroten Ohren so glaubwürdig? Oder mein Sohn, der die ganze Zeit an meiner Hose zupft?

An der Sammelkasse drückt man mir 75 Euro bar in die Hand. Ich kaufe beim Rausgehen noch ein paar exklusive Delikatessen und ein Spielzeug für meinen Sohn. Irgendwie muss man sich ja erkenntlich zeigen.

Fazit: Wer hätte das gedacht? Reklamieren lohnt sich. Wer nicht aus Versehen im KaDeWe eingekauft hat, wende sich am besten direkt an den Hersteller!

Fotohinweis: MATTHIAS URBACH DER PERFEKTE KAUF Fragen zu Hemden? kolumne@taz.de Die Montagskolumne: Jenni Zylka über PEST & CHOLERA