Die Überwindung des Konzertsaals mit bukolischen Mitteln

Für das zweite Komponistinnen-Festival hat man sich beim Künstlerinnenhof „Die Höge“ wieder mehr aufs Experimentelle besonnen: Vier Komponistinnen verwandeln das Gelände, das Haus und die Scheune mit Installationen und Stücken in einen Park der Klänge. Da kommen sogar die Kühe der anliegenden Wiesen ganz nah heran

Annette Schlünz brachte bereits eine Rheinfähre bei Basel zum KlingenEine Baustelle mit Schlagbohrern birgt die zündende Idee für eine Komposition

Auf den Gartenplatten wird Unkraut gejätet. „Die Pferde werden am Wochenende nicht da sein“, verspricht jemand angesichts der galoppierenden Vierbeiner. „Und der Rasen hier wird auch noch gemäht.“ Die Kühe der anliegenden Wiese sind ganz nah herangekommen. Drinnen arbeitet ein Klavierstimmer am Flügel, der zwischen Schlagzeugaufbauten steht. Eine Frau schraubt in einer Scheune Lautsprecher zusammen, ein Hund sonnt sich vor dem Appartement seiner Besitzerin, aus dem zeitgenössische Musik tönt.

Der Künsterlinnenhof „Die Höge“ wird gerade für das zweite Komponistinnenfestival am Wochenende vorbereitet. Hatten vor zwei Jahren noch traditionelle Spiel- und Besetzungformen die Priorität, besinnt man sich dieses Jahr wieder auf eine der ersten Konzeptionen der Höge: Das Experiment.

Die Kontinuität, mit der auf dem Künstlerinnenhof einerseits interdisziplinäre Projekte entwickelt werden und auf der anderen Seite neue Kunstformen entstehen, ist bundesweit einmalig. Im vergangenen August hatten Künstlerinnen unterschiedlicher Disziplinen unter dem Motto „Im Namen der Löwin“ das Gelände verzaubert. So soll es nun unter dem Titel „Mitten am Rand“ wieder sein. Mit einem Unterschied: nur Komponistinnen sind tätig, vier Stipendiatinnen – drei ehemalige und eine residierende.

„Mir war auf diesem Hof vor allem eines wichtig“, sagt die künstlerische Leiterin Marita Emigholz, „nämlich die Überwindung des Konzertsaals“. Und so breiten sich die vom O-Ton-Ensemble Oldenburg gespielten Werke und Installationen von Annette Schlünz (Frankreich), Karmella Tsepolenko (Ukraine), Kirsten Reese und Juliane Klein (Deutschland) zwei Tage lang, innen und außen, an neun verschiedenen Plätzen aus.

„Meine kompositorischen Konzepte haben viel mit den vorhandenen Räumen zu tun“, erzählt Annette Schlünz. Heißt das, dass die „Produkte“ nicht transportabel sind? „Richtig: Ich habe bei Basel eine Rheinfähre zum Klingen gebracht.“ So etwas wolle sie auch mal in einem anderen Fluss machen. „Aber das Industriegelände in der Schweiz, das ist schon sehr speziell“. Und die Höge? „Hier zieht mich die Spannung zwischen Stadt und Land an“, sagt Schlünz. In Dresden hat sie Geräusche aufgenommen. „Hier auf der Wiese werden sie angespielt.“

Im alten Kornspeicher hängt Kirsten Reese gerade Lautsprecher auf, 18 Stück, so groß wie Duftschalen, alle in Hüfthöhe: „Ich finde die Akustik in der Scheune faszinierend. Das ist eine große Herausforderung“, sagt die Berliner Komponistin. „Die Idee hatte ich, als ich einer Baustelle mit Schlagbohrern zugehört habe. Die brachten die Keramik im Nachbarhaus auf bizarre Weise zum Zittern und Klingen.“

Ergänzt wird das facettenreiche Angebot durch eine Podiumsdiskussion mit den Komponistinnen und einen Vortrag von Sabine Sanio. Sie spricht über Veränderungen der Musik durch elektronische Medien. Ein exklusives Festival, ermöglicht durch mutiges Sponsoring: „Neue Musik und Vermittlung, besonders auf dem Lande, nicht Event-Kultur“, zu diesem Schwerpunkt bekennen sich Niedersächsische Sparkassenstiftung und Kreissparkasse Syke. Man reibt sich die Augen: Donnerwetter, das ist wie ein Märchen.

Ute Schalz-Laurenze

Mitten am Rand, Komponistinnentage, von Samstag 14 bis Sonntag 18 Uhr.Infos: ☎ (0 42 49) 9 30 30 und www.hoege.org