Das Ende des Tingeltangels

Der 22-jährige Timo Boll muss sich dem 17-jährigen Qiu Yike bei der Tischtennis-WM bereits in der zweiten Runde geschlagen geben und kündigt an, sich auf Olympia besser vorbereiten zu wollen

aus Paris HARTMUT METZ

Timo Boll musste sich erst einmal setzen. Eine Minute lang stierte der Tischtennis-Weltranglistenerste ins Leere, mindestens. Dann packte die ehemalige deutsche WM-Hoffnung seine Tasche und trottete wie ein begossener Pudel Richtung Ausgang, vorbei an jenem Plakat, auf dem geschrieben stand: „Timo go for Gold“. Dort umlagerte ihn diesmal nicht die Heerschar chinesischer Journalisten. Die Meute widmete sich lieber dem Sensationssieger aus dem Reich der Mitte: Qiu Yike. Der 17-Jährige hatte das Milliardenvolk bei der WM in Paris schon in Runde zwei von seinem „Peiniger“ befreit.

Nach dem mühseligen Auftakt am Mittwochmittag gegen Jin Ju – der für die Dominikanische Republik startende chinesische Abwehrspieler, der im Palais Omnisport in der Weltrangliste 770 Plätze nach vorne schoss, trotzte ihm zwei Sätze ab – legte Boll zunächst los wie die Feuerwehr. Der 22-Jährige führte Qiu mit 11:3 und 11:7 vor. Dann aber legte sich beim Chinesen die Nervosität. „Ich hatte als Newcomer schließlich nichts zu verlieren, während der Druck auf Boll lastete“, befand der Weltranglisten-40., den Cheftrainer Cai Zhenhua mit zur WM nahm, um ihn langsam für Olympia 2008 in Peking aufzubauen. Erfreulicher Nebenaspekt dabei: Das bei seinem ersten Pro-Tour-Start in Japan gleich auf Anhieb Platz drei belegende Talent hat für Chinas Angstgegner einen unangenehmen Stil.

Ab Satz drei machte Qiu nur noch das, was „mir der Trainer sagte“. Derweil konnte Bundestrainer Istvan Korpa auf seinen Star einreden, wie er wollte – vergebens. „Nachdem ich Qiu im Griff hatte, spielte ich ideenlos und nicht variabel genug. Dadurch kam er wieder ins Spiel“, analysierte Boll selbstkritisch. „Es macht Spaß, gegen ihn zu spielen. Gratulation zu seiner Leistung“, sagte der Spitzenspieler des TTV Gönnern trotz seiner „maßlosen Enttäuschung“ über das frühe Aus. Ihn wurmte vor allem der sechste Durchgang. 10:6 führte der Weltranglistenerste bereits. „Was dann geschah, weiß ich nicht. Normalerweise bin ich mental stark, aber irgendwie fehlte mir am Schluss die Konzentration“, rang Boll um eine Erklärung für die anschließenden sechs Punkte des Chinesen, die eine zweite Wende im Entscheidungssatz verhinderten.

Erklärungsversuche: „Timo fehlte hier die Lockerheit. Das merkte man. In den letzten Monaten hatte er einfach zu viele Termine, die er fürs Tischtennis wahrnehmen musste“, urteilte Walter Gründahl. Obwohl sich der Präsident des Deutschen Tischtennis-Bundes (DTTB) an diesem Tag über die Vergabe der Mannschafts-WM 2006 nach Bremen hätte freuen können, sah der Verbandsobere genauso aschfahl und versteinert aus wie Boll.

„Das ist natürlich enttäuschend, dass wir aus diesem mörderischen Mittwoch nicht besser herausgehen“, räumte Dirk Schimmelpfennig auch angesichts der Zweitrunden-Niederlagen der beiden EM-Medaillengewinner Torben Wosik (Frickenhausen) und Jörg Roßkopf (TTV Gönnern) ein und hieb in dieselbe Kerbe wie zuvor sein Präsident. „Durch seine Popularität nach Platz eins in der Weltrangliste kamen bei Timo viele Termine dazu“, ließ der DTTB-Cheftrainer leise Kritik anklingen. Der Versuch Bolls, die Quadratur des Kreises zu schaffen, war schließlich im Sinne seines Sports: Erfolge wie der Sprung an die Weltspitze genügen heutzutage nicht allein, um beim breiten Publikum Beachtung zu finden. Deshalb tingelte der Hesse von einer TV-Sendung zur nächsten, was Tischtennis mehr Aufmerksamkeit bescherte – selbst wenn es Stefan Raab nur um den Beweis ging, dass er in sein Großmaul mehr Pingpongbälle stopfen kann als Boll.

Nun heißt es: wieder mehr Platte statt platte Witze. „Ich war heute physisch nicht so auf der Höhe, wie ich sein sollte. Im nächsten Jahr muss ich besser selektieren“, befand der Ex-Europameister nach der Schlappe und verordnete sich vor Olympia 2004 „mehr Vorbereitungszeit“. Die „nötigen Schlüsse“, die Schimmelpfennig „dringend“ erwartet, hat Boll damit bereits gezogen. Am Ende sei sein Aushängeschild aber noch lange nicht. „Er ist erst 22 und hat auch technisch noch viel Potenzial“, befindet der DTTB-Cheftrainer und schließt mit einer Kampfankündigung, die 1,2 Milliarden Chinesen kaum gerne hören werden: „Ich bin mir ganz sicher, dass diese Niederlage zu keinem Karriereknick führen wird.“