Die Kunst im Fernglas

Filmen und sich zum Esel machen, kann jeder, nicht aber umgekehrt: Das und einiges mehr lernt der Besucher von Cezary Bodzianowskis Solo-Ausstellung „Maybe“. Vielleicht. In der Bremer Gesellschaft für aktuelle Kunst

Manchmal ist Dummheit wie ein Schlag aufs Sprachzentrum. Dann verhaspeln sich auch versierte Moderatoren und würfeln Laute durcheinander: Etwas über „Kunstwerke zu erschwinglichen Kreisen“, von „Nachwüchskönnlern“ hat der Ansager des Radio Bremen TV-Magazins „buten un binnen“ neulich gestottert, bevor ein Beitrag über die Gesellschaft für Gegenwarts- uups! aktuelle Kunst (GAK) abgespielt wurde, der geradezu sittenwidrig debil war. Die Autorin des Dreiminüters hieß Konstanze Hofsfeld oder so ähnlich, und sie hatte den kleinen Bremer Kunstverein anlässlich der Präsentation der Jahresgaben besucht. Um diese – schließlich, so die grundierende Pointe, könne sogar sie, Karwenze Hopfseld, selbst derlei Artefakte herstellen – als entartet zu brandmarken.

Jahresgaben sind kleinere Arbeiten, die Künstler einem Kunstverein stiften, der sie dann seinen Mitgliedern weit unter Marktpreis verkauft. Die Sendung lief am 24. November und vor allem ein aus GAK-Streichholzschachteln konstruiertes Binnenschiff des – immerhin 40-jährigen – polnischen Nachwuchskönnlers Cezary Bodzianowski hatte Hopsschlumpfs Missfallen erregt. Was, weil der Ärger der Dumpfen seit jeher ein Indikator für das Gute und Neue in der Kunst ist, als dringliche Empfehlung verstanden sein sollte: Bodzianowski, den schon die Tate Modern, das ICA Boston und das Kunsthaus Graz gezeigt haben, hat seiner Bremer Einzelausstellung den schönen Titel „Maybe“ gegeben. Sie ist seit dem dritten Advent zu besichtigen. Und einfach fabelhaft.

Weil sie so überraschend ist: Da kommste in den schmalen, langen Raum der GAK und siehst: fast nichts. Außer an der einen Wand ganz hinten einen kleinen Fernseher. Und an der gegenüber einen zweiten. Aber das isses auch schon, fast, bis auf zwei drehbare Barhocker, genau in der Mitte, an denen Ferngläser hängen. Soll man sich jetzt etwa da drauf und dann per Feldstecher die Videos …??!

Sollen – ist das falsche Verb. Man darf. Man kann. Bodzianowskis Kunst hat den angenehm zwanglosen Charakter einer Einladung, Wirklichkeit anders zu erfahren – und sei es die eines Show-Rooms, der ja normalerweise die Ausstellungsstücke möglichst offenkundig macht, also ausstellt, und nicht, wie unter Bodzianowskis Regie: entrückt oder versteckt.

Womit er wiederum Verborgenes enthüllt. Und zwar recht unpathetisch und ganz und gar im Wortsinn, nämlich den Lösch-Schlauch, der normalerweise hinter einem Rollo in einer Nische beim Durchgang zum Klo hängt. Bodzianowski hat die Jalousie zur Hälfte geöffnet und die Feuerspritze befreit: In Schlangenlinien kriecht sie hervor, wie ein Seeungeheuer aus seiner Höhle, ein Readymade-Relief auf hellblauem Grund. „Wandzeichnung“ hat der Künstler es genannt.

Komisch? Aber ja! Bodzianowskis „everyday absurdism“ war Frieze, dem Magazin der Londoner Kunstmesse, im Oktober 2007 ein achtseitiges Dossier wert, und ein verschrobener Humor eignet allen seinen Arbeiten. Er entzündet sich, auch in den Videos, an dem, was der Ausstellungsort selbst zu bieten hat – etwa die GAK-Streichhölzern, die Poller in einer galerienahen Fußgängerzone, die er als Zielstangen fürs Ringewerfen benutzt, oder ortstypische Erzählungen. „The Biggest. The Strongest. Ein Musikant-Film“ heißt ein Loop, der, in und für Bremen gedreht, eine sommerliche Intervention in den öffentlichen Raum dokumentiert: Der Künstler hat die Rolle des „größten und stärksten“ der vier aus der Wertschöpfungskette gedrängten Tiere angenommen. Das hat sich bis zum Zielort durchgeschlagen, wo es jetzt auf Hahn, Katze und Hund wartet.

Im Vierfüßlerstand, am Hauptbahnhof und an markanten Punkten der Bremer City hat sich Bodzianowski filmen lassen – und zugleich die an ihm ohne jeden Ausdruck des Erstaunens vorbeiziehenden Passanten.

Filmen und sich dabei zum Esel machen – selbstverständlich kann das jeder Schlumpf. Es kommt aber darauf an, es bewusst zu tun: Auf diese Weise stößt Bodzianowski in die Lücken der Wahrnehmung, macht sie erfahrbar und öffnet die Augen dafür, wie ungehemmt Groteskes durchs Raster des Blicks rutscht. Und wie wenig wir Wirklichkeit wahrnehmen. Das wiederum können nur sehr wenige. Und das zu können ist die Kunst. BENNO SCHIRRMEISTER

Cezary Bodzianowski, Maybe, GAK Bremen, Teehrof 21, Bis 1. 2. 2009