Böse Ahnung im Nettetal

In der Idylle des Harzvorlands soll demnächst Autobahn-Asphalt recycelt werden. Die Einwohner fürchten Laster-Lärm und austretenden Staub, der als Krebs erregend gilt. Manche sprechen sogar von Müllmafia und Politikerwillkür

„Anregungen der Bevölkerung könnten durchaus Eingang in die Genehmigung finden“

aus Schlewecke Kai Schöneberg

„Da kriegen Sie ein echtes Problem“, sagte Ulrich Eichhoff zu Holles Bürgermeister Klaus Huchthausen – und meinte das ziemlich ernst. Eichhoff, Mittvierziger mit Bart, ist in keiner Partei. Und erst recht niemand, der Krach um des Krach willens schlägt. Aber was er an diesem 29. Dezember unter den Amtlichen Bekanntmachungen in der Zeitung las, verschlug ihm fast den Atem.

Seitdem trifft er sich einmal die Woche mit den anderen von der Bürgerinitiative „Pro Nettetal“, hat Flyer verteilt, kennt sich inzwischen bestens aus mit Fog-Anlagen, Mischern, Asphaltbrechern oder auch im Planungsrecht – und Eichhoffs Ehefrau fragt, wann das denn vorbei sei mit seinem Kampf gegen den Recyclinghof in Schlewecke. Es ist noch längst nicht vorbei, obwohl Eichhoff, der derzeit viel von Müllmafia und Politikerwillkür spricht, wohl schon gewonnen hat. Aber leider nur ein bisschen.

Noch ist eigentlich ziemlich viel in Ordnung im unteren Tal der Nette, einer hügelig wogenden Idylle im Harzvorland, durch die das kleine Flüsschen Richtung Innerste mäandert. Der Maler Georg Baselitz wohnt deshalb um die Ecke in einem Schloss, viele Städter kommen in die Gegend südlich von Hildesheim zum Abspannen. Aber schon haben die 100 Dauercamper in Sottrum mit Abzug gedroht, die Kirche hat protestiert, einige der 45 verhaltensgestörten Kinder in der Heimschule, deren Leiter Eichhoff ist, haben Einwendungen für den öffentlichen Erörterungstermin geschrieben. Es herrscht Alarm im Nettetal.

Aus der nur zart besiedelten Region um die Orte Holle, Sillium und natürlich Schlewecke waren immerhin 270 Einwände Betroffener gekommen. Sie waren dagegen, dass der Recylinghof bald auch Asphalt zerschreddert, 35.000 Tonnen im Jahr. Bis zu 300 Lastwagenfuhren täglich sollen über die kleinen Straßen donnern. Noch schlimmer: Der Staub, der beim Zerbröseln der Asphaltdecken entsteht, gilt wegen des Teergehalts als Krebs erregend. Ob das Grundwasser durch die Anlage geschädigt wird, scheint unklar. Klar ist, dass mit dem Recyceln der alten Autobahnstücke 19 Arbeiter beschäftigt werden sollen.

Schon jetzt herrscht zur Schlafenszeit meistens Krach im Kinderzimmer von Undine (7) und Clara (8), die in einem alten Ziegelbau in Sichtweite des Recyclinghofs wohnen. „Da sind so Bagger“, sagt Clara. Und: „Das stinkt manchmal.“ Ihr Vater, Ralph Thomas, lässt sie natürlich nicht zum Spielen auf die ungeschützte Müllhalde. Er ärgert sich auch, dass eine vorgesehene vier Meter hohe Schutzwand auch drei Jahre nach der Errichtung des Recyclinghofes nicht steht. Eingezwängt zwischen Natur- und Landschaftsschutzgebiet hat der Hof seit 2001 die Genehmigung, hier ungiftigen Bauschutt zu entsorgen.

„Wir fahren jetzt auf Feindgelände“, sagt Eichhoff, als er seinen Wagen am Hof vorbei zum Haus der Familie Thomas lenkt. Dort wartete schon der Sprecher der BI „Pro Nettetal“, Henning Schwarze, der sogar eine Homepage (www.pro-nettetal.de) erstellt hat. Zuerst sagt er, dass die Firma schon ohne Genehmigung Computerschrott und Tierkadaver entsorgt habe. Und dann: „Wer dem Terror nachgibt, macht sich mitschuldig.“

Es gibt ja auch die schlimmen Gerüchte: Ein Zuständiger aus dem Amt, der öfter zu den Jagden der Hofbetreiber eingeladen wurde. Das Gewerbeaufsichtsamt, das den Hof nie richtig kontrollierte. Die einzige Enthaltung im 30-köpfigen Umweltausschuss, die von einem Beisitzer gekommen sein soll, dessen Sohn für die Müllfirma arbeitet. Und die Fakten: Dass beim Anhörungstermin nicht anerkannt wurde, dass es doch eigentlich um eine komplette Betriebs- und nicht nur um eine Erweiterungserlaubnis gehe. „Eine Farce“, sagt Eichhoff. Und droht, gegen eine Genehmigung zu klagen.

In wenigen Wochen werde die Entscheidung stehen, sagt die Sprecherin der Bezirksregierung Hannover, Cornelia Zügge. Und dass „die Anregungen der Bevölkerung durchaus Eingang in die Genehmigung finden“ könnten. So dürfte es auf Auflagen für den Betrieb der Anlage hinauslaufen. Schon beim Erörterungstermin hatte die Müllfirma eingeräumt, dass zumindest nachts Ruhe ist. Und dass das Material nicht unter freiem Himmel gelagert wird.

Und selbst, wenn es also darauf hinauslaufen könnte, dass der Widerstand der besorgten Menschen im Nettetal wenigstens ein bisschen Erfolg hat, bleibt Ulrich Eichhoff unbeirrbar: „Am besten, die reißen den ganzen Hof ab“, sagt er, „und recyceln ihn dann.“