About Venedig

Louis Begley und seine Frau Anka Muhlstein lasen bei Karstadt am Hermannplatz aus ihrem gemeinsamen Buch

Erst hatte ich mich ganz schön erschreckt: Louis Begley, Autor von „Lügen in Zeiten des Krieges“ und „Schmidt“, das als Vorlage für das Drehbuch zu „About Schmidt“ mit Jack Nicholson diente, sollte mit seiner Frau das gemeinsame neue Buch „Venedig unter vier Augen“ (Mare Verlag 2003, 167 S., 18 Euro) bei Karstadt am Hermannplatz vorstellen! Hat Neukölln denn jetzt schon in der Welt einen Ruf wie Harlem? Ein hipper Ort mit dem Nimbus gefährlicher und vergangener Tage? Und alle wissen es bereits? Louis Begley, seine Frau, sein Verleger, die Leute von Karstadt – nur ich nicht?

Aber dann war es ja doch gar nicht so schlimm am Hermannplatz. Nirgendwo konnte man Latte Macciato „to go“ kaufen und Achtzigerjahrefrisuren gab es auch nicht zu sehen. Stattdessen setzt man in Neukölln auf gepflegte Hochkultur. Im „Eventraum“ gleich neben dem Dachgartenrestaurant, in dem sonst immer „Schlemmer-Abende“ stattfinden, spielte ein Mann sehr lange zur Einleitung Querflöte und die weibliche Cembalobegleitung trug ziemlich roten Lippenstift zum schwarzen Großen. Genug Zeit also, die Wände anzustarren, die mit Motiven aus toskanischen Städten zugemalt waren.

Dann kamen Louis Begley und seine Frau, die französische Sachbuchautorin Anka Muhlstein, auf die Bühne und beschworen den Zauber von Venedig. Man erfuhr, dass die Begleys seit über 20 Jahren den Urlaub in Venedig verbringen, in welchen Restaurants sie zu Mittag und in welchen sie zu Abend essen. Eigentlich fehlten nur Urlaubsdias, aber das ging wahrscheinlich nicht wegen der Wände. Dafür gibt es im Buch gottseidank das Kapitel „Begleys in Venedig“, das Fotos des Ehepaars, ihrer Söhne, Enkel und der Schwiegertochter zeigt mit so informativen Bildunterschriften wie: „Anka liest gern in der Nachmittagssonne auf dem Balkon“.

Quasi zum Ausgleich las Louis Begley dann eine erotisch gefärbte Passage aus dem Buch, die von stachligen, weiblichen Oberschenkeln handelte. Die Moderatorin lächelte verzückt über so viel künstlerische Spitzbübigkeit, die Neuköllner fragten Fragen wie „Kennen Sie Donna Leon?“ Und: „Schreiben Sie Ihre Bücher auf Schreibmaschine oder mit dem Computer?“ Danach spielten noch einmal der Mann mit der Querflöte und die Frau mit dem Cembalo, bevor es durch den Hinterausgang von Karstadt endgültig hinausging – schnell hinaus in den nächtlichen, vielleicht sogar etwas gefährlichen Zauber von Neukölln.

SANDRA LÖHR