Der Mann des Ausgleichs

Joachim Zeller will nicht länger nur Bürgermeister des Bezirks Mitte sein, sondern heute beim Landesparteitag auch CDU-Chef werden. Was dem Konkurrenten von Peter Kurth allerdings schaden könnte, ist seine Nähe zu Exfraktionschef Frank Steffel

Zeller nennt sich schon mal Dorf-schulze. Das Dorf zählt 320.000 EinwohnerAuch Fraktionsschef Nicolas Zimmer hat sich inzwischen für Zeller ausgesprochen

von STEFAN ALBERTI

Es ist etwas stickig und unruhig geworden im Raum. Zu viele Menschen, zu wenig Platz. Am Rande flüstern welche, in der ersten Reihe fingert ein Vorsänger an seiner Brille. Anders der dunkelbärtige Mann dahinter, der hier in der wiedereröffneten Synagoge des Jüdischen Krankenhauses einen Termin als Bezirksbürgermeister absolviert. Die Hände ruhig im Schoß, der Rücken gerade, die Füße fest auf dem Boden. Es ist ein Bild, das CDU-Mitglieder von Parteitagen kennen: Joachim Zeller als ruhender Pol vorne auf dem Podium, wo der Vorstand sitzt. Dort will er, jetzt noch Parteivize, ganz in die Mitte und in den Chefsessel, wenn die Berliner Union heute ihren neuen Landeschef wählt.

Dieses Ruhen ließe sich natürlich auch als Unbeweglichkeit auslegen. Etwa: Der sitzt und sitzt und sitzt. Bis er aufsteht, um zu reden. Wie an diesem Tag in einem Festzelt neben der Synagoge. Der Bundesinnenminister hat vor ihm gesprochen, der israelische Gesandte, die Sozialsenatorin, der jüdische Gemeindechef. Fast durchweg sind sie mit vorbereiteten Texten ans Mikro getreten. Zeller aber spricht frei und doch druckreif, wenn auch kürzer, ruhig zwar, aber nicht ermüdend, und bekommt nicht weniger Beifall als die Minister vor ihm.

Solche Auftritte lassen an jenen zweifeln, die in ihm nur den tapsigen Kiezpolitiker sehen. Zeller kann es sich erlauben, sich schon mal selbst Dorfschulze zu nennen. Sein Dorf zählt rund 320.000 Einwohner, ist weit größer als etwa die Landeshauptstädte Mainz, Wiesbaden oder Saarbrücken. Mitte ist Prestige- und Problembezirk zugleich, hat Regierungssitz und Drogenmeile. Zeller, heute 50, ist seit 1995 Bürgermeister, erst in Alt-Mitte, seit der Bezirksfusion auch für Tiergarten und Wedding.

In der Synagoge des Weddinger Krankenhauses haben die Organisatoren ihn zwei Plätze weeiter von PDS-Senatorin Heidi Knake-Werner gesetzt. Im Bezirk rückte Zeller von sich aus an die PDS heran. Mit ihren Stimmen ließ er sich 2001 zum Bürgermeister wählen wie auch mit denen der Grünen.

Als verlässlich schätzt ihn der PDS-Chef in Mitte, Thilo Urchs: „Was er sagt, hält er. Wir haben es nicht bereut, ihn gewählt zu haben.“ Grünen-Kreisvorständler Reiner Felsberg bescheinigt Zeller gute Arbeit. Und auch die Vorsteherin der Bezirksverordnetenversammlung, eine SPD-Frau, mag nichts gegen ihn sagen.

Es lohnt ein Blick auf die vergangenen Jahre. Da forderte er etwa mit anderen Bürgermeistern von den BVG die Sozialkarte zurück. Er schraubte mit einem Grünen-Kollegen am Brandenburger Tor eigenmächtig Platzschilder mit neuem Namen an. Er wandte sich gegen Druckräume für Drogenabhängige, nannte aber einen Spritzenautomaten in Alex-Nähe tolerabel.

Eher flau war vor knapp vier Wochen der Protest, als Zeller, bisher eher undogmatisch, seine Kandidatur für den Chefposten der Berliner CDU ankündigte. Die Grünen halten das politisch und von der Arbeitszeit her nicht miteinander vereinbar, wollen aber abwarten, ob sich diese Prognose bewahrheitet. Bei der PDS hieß es nur, man werde sich dazu beraten. Beide Parteien hatten 2001 ihre Unterstützung davon abhängig gemacht, dass Zeller das kommissarisch übernommene Amt des CDU-Generalsekretärs aufgab. Kommissarisch war Zeller auch schon mal Landeschef, drei Monate im Frühjahr 2002.

Die politische Karriere des vierfachen Vaters und Ossis Zeller begann in der Nachwende-DDR, im Mai 1990 als Bezirksverordneter in Mitte, nur vier Monate nach seinem CDU-Eintritt. 37 Jahre war er damals und arbeitete seit seinem Slawistikstudium in der Bibliothek der Humboldt-Universität. Zwei Jahre später war er Stadtrat für Umwelt und Gesundheit, wieder drei Jahre später wurde er Bürgermeister.

Zur Synagogeneinweihung ist Zeller offiziell gekommen, als Bezirksbürgermeister. Wer ihn jedoch am Rande begrüßt, fragt nicht nach dem neuesten Tratsch aus dem Bezirksamt, sondern nach den jüngsten Entwicklungen bei der CDU, die einen Nachfolger für ihren ausscheidenden Landeschef Christoph Stölzl wählen muss.

Das Gedränge im Festzelt treibt Zeller zu Mario Czaja, Vize der CDU-Fraktion und einer der engsten Vertrauten seines Gegenkandidaten Peter Kurth. Geht es nach dem Umgang der beiden miteinander, gibt es die viel beschworenen Gräben in der CDU nicht. Ein bisschen Lächeln, ein bisschen Smalltalk.

Es ist ja auch nicht so, dass Kurth und Czaja nicht mit Zeller klarkämen. Sie wenden sich eher gegen die Gestalten, auf die sich Zeller für seine Wahl stützt. Den inzwischen zurückgetretenen Frank Steffel vor allem. Kurz nach seiner eigenen Kandidatur sah Zeller keine Alternative zu Steffel als Fraktionschef. Eine Ohrfeige war das für Kurth, von dem alle in der CDU wussten, dass er Steffel kippen wollte.

Der Bürgermeister sei eigentlich kein originärer Steffel-Mann, sagt einer aus dem Kurth-Lager schon vor ein paar Wochen. Zeller habe aber die Auffassung vertreten, dass es besser sei, bei Steffels Truppe mitzumischen und auf sie Acht zu geben, statt ihr Handeln von außen zu beobachten. Kurths Leute hielten und halten das für unmöglich: Zeller lasse sich einmauern und habe selbst nicht mehr viel zu melden.

Mit Steffels Abgang gilt er zwar ein Stück weit „entsteffelt“. Aber eben nur ein Stück. Denn um ihn herum würden bei seiner Wahl weiter Steffel-Spezis stehen. Rechtsausleger Kai Wegner als Generalsekretär etwa, der als seine politischen Vorbilder den früheren Hardliner Lummer und Stoiber nennt.

In Wegner sieht Zeller die polternde Ergänzung zu seinem eigenen Naturell, dass er ausgleichend nennt. Man sehe ihn nicht lachen, sagen manche über ihn. Das ist nicht ganz falsch, aber auch nicht richtig. Sein dunkler, von einigen angegrauten Fäden durchzogener Vollbart bedeckt Lippen und Mundwinkel, lässt ein Schmunzeln nicht erkennen. Es sind die Augen und das Geflecht kleiner Falten um sie, mit denen er lacht.

Der neue CDU-Fraktionschef Nicolas Zimmer hat ein paar Tage gezögert, bevor er sich für Zeller als neuen Landeschef ausgesprochen hat. Mit beiden Kandidaten könne er sich gute Zusammenarbeit vorstellen. Die Kombination mit Zeller aber birgt für Zimmer „einen gewissen Mehrwert“.

Mehrwert. Ein zentraler Begriff der Marx’schen Lehre als Argument für einen CDU-Landeschef? Wo es doch ohnehin Unionsmitglieder gibt, die ihm die Unterstützung durch die PDS übel nehmen? Das seien nur noch wenige, sagt Zeller. Sein CDU-Kreisverband habe das Bürgermeisteramt klar angestrebt, und das sei eben nur mit der PDS möglich gewesen. Von einem „pragmatischen und unideologischen Politikstil“ spricht er dabei. Über einen neuen CDU-Stadtrat sagte er mal, der habe „erstaunlich schnell begriffen, dass wir hier über die Parteigrenzen hinweg Sacharbeit machen“.

Vor der heutigen Entscheidung beim Parteitag setzten Kurth-Gegner darauf, den früheren Finanzsenator als Teil des alten Systems Diepgen darzustellen, das man doch überwinden wollte. Diese Spitze aber kann sich bei den CDU-Mitgliedern auch gegen Zeller richten. Denn ihn, den Ruhe ausstrahlenden Mann aus Mitte, den sahen sie schon seit 1991 auf dem Podium – als Dauervorständler neben Landeschef Diepgen.