Der Führer auf Säure

Warum sich der Historiker Joachim C. Fest in eine Heil- und Pflegeanstalt zurückzog

Fest beruhigte seine augen-scheinlich arg strapazierten Nerven mit ein, zwei Pils

Die Ereignisse, die den freiwilligen Rückzug des ehemaligen FAZ-Herausgebers Joachim C. Fest in die Heil- und Pflegeanstalt Appelzell-Außerrhoden verursachten, sind bis heute nicht restlos aufgeklärt. Die NZZ hält sie für gut erfunden, der Spiegel weiß, von wem, und droht mit einer Serie, der Süddeutschen ist das Ganze ein Rätsel. Die Frankfurter Allgemeine verweigert jeden Kommentar. Klar ist, Fest saß am Dienstag dieser Woche im Cinemaxx an der Schönhauser Allee in Berlin, um der Preview von „Adolf Hitler“ beizuwohnen, einer europäischen Koproduktion, die der Produzent Bernd Eichinger nach Fests gleichnamiger Standardschwarte besorgt hat.

Das Licht erlosch, der Vorhang glitt zur Seite, und aus den Boxen wagnerten Schwaden in Moll. Soweit sind sich alle einig. Dann gehen die Darstellungen verblüffend weit auseinander. Fest sei sofort eingeschlafen, behauptet jedenfalls Morgenpost-Redakteurin Wulz, die nicht weit hinter ihm gesessen und alles genau beobachten haben will. Kollegin Wulz habe noch nie irgendetwas genau beobachtet, sagt wiederum epd-Mann Senf, der seinerseits völlig überwältigt gewesen sei von der Halbtotalen, aus der sich nun im flirrenden Morgenlicht das Alpenpanorama von Berchtesgaden auf der Leinwand materialisierte.

Laut Menz, der die Premiere für die WAZ-Gruppe besichtigte, sei es von Anfang an eher dunkel gewesen, also Nacht, mindestens später Abend, und er habe keine Berge, sondern eine baumlose, asiatisch anmutende Steppe erkannt. Wieder andere meinten, es habe sich um den Bodensee gehandelt und in Strömen geregnet. Nicht nur auf der Leinwand, sondern auch durch das Dach. Wie immer in russischer Filmen, sagt Mogger, der an diesem Abend den Dienst des Platzanweisers versah, aber zu Vorkommnissen nicht zitiert werden möchte.

Fest selber gab zu Protokoll, er habe nicht geschlafen, sondern einen dicken Mann im Pumpernickelkostüm isarabwärts treiben sehen. Das sei ihm genauso ungeheuerlich erschienen wie das Auftauchen von Veronika Ferres, die den Briten unter dem Namen Lillian Harvey von Heiner Lauterbach in der Rolle Heinrich Himmlers für einen Seperatfrieden angeboten worden sei. Eine Geschichtsfälschung, die, laut Fest, weiß Senf, so nicht abgesprochen war. Vollends den Rest gegeben habe ihm aber die Einnahme Ungarns durch einen gewissen Helmut Rahn, der nach Quellenlage nur an der Westfront, bei Rot-Weiß Essen, Twente Enschede, in Schweden und in der Schweiz eingesetzt war.

Fest, meint Menz, sei danach aus dem Kino geflüchtet, um seine augenscheinlich arg strapazierten Nerven mit ein, zwei Pils zu beruhigen. Dort habe ihn Eichinger abgefangen und ihm den Schauspieler Bruno Ganz mit den Worten vorgestellt: „Das ist mein Führer.“ Das würde einiges erklären, sagt Senf, sei aber völliger Quatsch, und im Übrigen sei die Ferres nicht die Harvey, sondern Leni Riefenstahl und keineswegs von Lauterbach ausgetauscht, sondern von Hermann Göring, also Heino Ferch, den ganzen Film lang ignoriert worden, der immer wieder laut und deutlich über den Ärmelkanal gerufen habe: „Frauen sind für mich wie Elefanten. Ich sehe sie gerne an, aber ich würde keine haben wollen.“

Darauf habe Fest angefangen zu weinen und Nina Hagen gelacht wie nur Zara Leander lachen kann. Dann habe sich die Schlampe einen Joint zwischen die Zähne gesteckt und einen Drink bestellt. Alle hätten jetzt Drinks bestellt, resümiert Frau Wulz, der die Veranstaltung ab hier nur noch bruchstückhaft in Erinnerung ist. Aber wahrscheinlich sei alles wie immer gewesen. Eichinger habe seinen Oscar rumgezeigt, Hubsi Burda allen einen Bambi versprochen und Sabine Christiansen mit Klaus Wowereit getanzt, dessen Pumpernickelköstum einfach lächerlich gewesen sei.

Joachim C. Fest machte noch am selben Abend sein Testament, legte alle Ämter nieder und bestieg den ICE „Rheingold“ Richtung Basel. Gerüchte, im Cinemaxx an der Schönhauser sei an besagtem Tag gar nicht „Adolf Hitler“ gelaufen, sondern man habe „Lyserg“ gegeben, ein Werner-Herzog-Werk über das Leben des LSD-Erfinders Albert Hoffmann, lassen sich nicht mehr verifizieren. Eine Kritik ist nie erschienen, der Film gilt als verschollen. MICHAEL QUASTHOFF