Jungs aus der Vorstadt

Die New Jersey Nets stehen erneut vor dem NBA-Finale, doch die New Yorker lassen sich trotzdem nicht blicken

NEW JERSEY taz ■ Das Beste an New Jersey, so ein New Yorker Witz, ist der Blick auf Manhattan. Ansonsten gibt es für New Yorker nur wenige Gründe, durch den Holland Tunnel den Hudson in Richtung Festland zu durchqueren, es sei denn, man sehnt sich nach einem Nachmittag in der Tristesse eines austauschbaren Vorstadt-Einkaufszentrums, komplett mit Hamburgerrestaurant, Bowlingbahn und Kino.

Was die New Yorker noch nach New Jersey locken könnte, wäre allerdings ein gutes Basketballspiel. Denn ein solches bekommt man im Continental Center von East Rutherford derzeit eher geboten als im Madison Square Garden an der 34. Straße. Das Center ist die Heimat der New Jersey Nets, und die führen in der Halbfinalserie gegen die Detroit Pistons mit 3:0 und brauchen nur noch einen Sieg, um zum zweiten Mal in Folge in das Finale der NBA einzuziehen. Und nachdem Titelverteidiger Los Angeles Lakers im Westen gegen San Antonio ausgeschieden ist, keimt im Osten gar die Hoffnung auf den Titel: Vor den Spurs mit Tim Duncan oder Dirk Nowitzkis Mavericks mit ihrer mitunter wackligen Abwehr hat man in New Jersey jedenfalls wesentlich weniger Respekt als vor dem bislang als monolithisch geltenden Lakers-Block mit Kobe Bryant und Shaquille O’Neal.

Trotzdem setzen sich an einem Basketballabend nur die allerwenigsten in Manhattan ins Auto oder in den Zug und fahren nach New Jersey. Auch nicht während der Play-offs. „Für den New Yorker“, sagt der Reporter Mike Wise von der New York Times, „ist die Saison vorbei, wenn die Knicks ausscheiden. Die Fans wechseln die Loyalitäten nicht so einfach.“ Dass die New Yorker nicht kommen, ist ein andauerndes Problem für New Jersey: Trotz hervorragenden Sports besuchen im Schnitt nur 15.000 Leute die Spiele. Das ist in der NBA-Rangliste Platz 23, in etwa die Preisklasse der ungeliebten Atlanta Hawks oder Los Angeles Clippers.

Demografisch dominiert in New Jersey der „Blue Collar“, die weiße Arbeiterklasse mit niedrigem Einkommen. Für viele ist ein Basketballspiel-Besuch mit Kartenpreisen zwischen 40 und 200 Dollar schlicht zu teuer. Um das zahlungskräftige, aber verwöhnte New Yorker Publikum anzulocken, ist jedoch nicht nur der Standort, sondern auch die Spielstätte zu unattraktiv. Das Continental Center ist die älteste nicht sanierte Arena in der NBA. Seit 1981 wurde hier nichts mehr gemacht. Darüber hinaus entspricht das Unterhaltungsangebot rund um das Spiel eher dem Geschmack der Anwohner als dem der kultivierten Manhattanites. „Die Arena hat eine lange Geschichte von ‚Shlock‘ “, benennt Mike Wise das Ambiente mit einem jiddischen Terminus: Shlock ist alles, was einem ästhetisches Unbehagen bereitet.

Deshalb will die Holding-Gesellschaft der Nets, die „YankeeNets-Gruppe“, zu der auch die Eishockeymannschaft New Jersey Devils gehört und hinter der der Besitzer der New York Yankees, George Steinbrenner, steckt, seit langem ein schickes neues Stadion in Newark bauen. Das ist direkt an einem der New Yorker Flughäfen und von Manhattan aus in 20 Minuten zu erreichen. 350 Millionen Dollar sollte das Projekt kosten und auf der Höhe der Dotcom-Ära, als es selbst New Jersey gut ging, war die Stadt gerne bereit, diesen Betrag vorzustrecken. Mittlerweile findet man die Vorstellung einer solchen Ausgabe jedoch eher obszön.

Alternativ wird darüber nachgedacht, den Berg zum Propheten zu bringen: Die Nets wollen abwechselnd mit den Knicks im Madison Square Garden spielen. „Die New Yorker Fans fänden das prima“, sagt Mike Wise. Allerdings, glaubt er, dass die Knicks das verhindern werden. „Dann geht doch kein Mensch mehr zu den Knicks-Spielen.“ So werden die Nets mit ihrem sensationellen Trio Jason Kidd, Richard Jefferson und Kenyon Martin wohl einstweilen die ungeliebte Vorstadtmannschaft bleiben. Egal wie gut sie spielen.

SEBASTIAN MOLL