Der Außenseiter-Kapitän von Deutschland

Doch, doch: Oliver Bierhoff ist einer der großen deutschen Fußballer nach dem Zweiten Weltkrieg. Heute hört er auf

Wenn es etwas Schwerwiegendes gegen Oliver Bierhoff zu sagen gäbe, dann, dass er sich in einem wichtigen Punkt von vielen Fußballgrößen der deutschen Premiumkategorie unterscheidet.

Der Mann hat Stil.

Das hat ihn im deutschen Fußball natürlich zum Außenseiter gemacht. Heute macht er folgerichtig relativ unbemerkt sein letztes Spiel; in Turin für Chievo Verona. In der kollektiven Erinnerung wird Bierhoff reduziert auf sein Gewinn bringendes Golden Goal im EM-Finale 1996. Dabei war er viel mehr. Er hat in den Jahren 1998 bis Anfang 2002 den wichtigsten Job innegehabt, den ein Deutscher jemals erreichen kann: Er war Kapitän der Fußballnationalmannschaft. Für DFB-Ehrenspielführer Franz Beckenbauer war das noch eine „krasse Fehlentscheidung“, als Bierhoff schon 20-mal die mythische Binde am Arm gehabt hatte.

Mei: Bierhoff war halt ein Fußballprofi, der Deutschland, seine Bundesliga und letztlich auch den Franz überwunden hatte. Er war Sohn eines wichtigen Wirtschaftsmanagers. Besaß Grundrhetorik, ein grundsätzliches Selbstvertrauen, das sich nicht allein aus dem Fußball speiste. Und sogar Manieren.

Schlimmer: Bierhoff machte Branche und Kundschaft misstrauisch, weil es immer schien, als sei Fußball für ihn nur eine Möglichkeit, erfolgreich zu sein. (Noch schlimmer: nicht gerade seine beste.) Während Basler, Effenberg und Matthäus vor Ort ihre Darmbewegungen auslebten, arbeitete der Europäer Bierhoff daran, den perfekten Job zu machen. Unauffällig freundlich im Interview. Unauffällig gnadenlos auf dem Platz.

Kritiker werfen ihm heute noch vor, er könne gar nicht Fußball spielen. Ach, was? Klar, er konnte Keinen ausspielen. Dennoch kann man Bierhoff in der zweiten Hälfte der 90er ein Facharbeitertum von Weltklasse bescheinigen: Wenige Strafraumstürmer waren kopfballstärker, klüger und effektiver. Und damit moderner. Das war 2000 schon wieder anders, aber zuvor wurde Bierhoff als einziger Deutscher Torschützenkönig der italienischen Serie A (27 Tore!). Er war noch Stammspieler bei Milan, als Deutsche auf erstklassigen Arbeitsmärkten nicht mehr vermittelbar waren. Und bei der WM 1998 zeigte er in einem taktisch rückständigen DFB-Team als einziger Weltformat (3 Tore).

Weil seine erstklassige Arbeit (70 Länderspiele/37 Tore) aber halt im Vergleich zu den klassischen Helden-Stürmern (Seeler, Völler, Klinsmann) emotionslos daherkam, spürten ihn viele Betrachter während der 90 Minuten nicht. Man konnte in Bierhoff einfach nichts von all dem Zeug hineininterpretieren, wofür man sich Fußball hält.

Als National-Kapitän ist Bierhoff natürlich gescheitert an der Aufgabe, das fußballerische und stilistische Bertitum beim DFB nach 1998 zu überwinden. War wohl auch zu viel verlangt. Wie man weiß, kam zunächst sogar alles noch schlimmer, und der Kapitän ging unter. Mit Stil.

Trotzdem, hilft alles nichts – auch nicht, dass er jetzt natürlich Marketingmanager wird: Oliver Bierhoff ist in der TopTen der Kategorie „Große DFB-Kapitäne nach 1945“ (Platz 10). Okay, er riss sich für Deutschland nicht den Arsch auf wie Klinsmann. Aber er schoss auch keine Eigentore gegen Österreich. Wie Vogts. Und nie, nie würde er sich vor Fernsehkameras am Sack kratzen wie Uwe Seeler. Auch dafür Respekt. PETER UNFRIED