Es rumort in Lulas Arbeiterpartei in Brasilien

Der Streit über die Rentenreform mündet in Parteiausschlussverfahren. Eine Sachdebatte findet kaum statt

PORTO ALEGRE taz ■ Das Hauen und Stechen in der brasilianischen Arbeiterpartei PT wird immer erbitterter. Und erstmals ist Präsident Luiz Inácio Lula da Silva selbst zur Zielscheibe von frustrierten ParteifreundInnen geworden: Die Abgeordenten João Fontes und Luciana Genro präsentierten ein Video aus dem Jahr 1987, in dem der damalige Parlamentarier Lula gegen die Festlegung des Mindestrentenalters auf 48 Jahre für Frauen und 53 für Männer sowie gegen die Bezahlung der Auslandsschulden wetterte.

Heute sieht Lula in der bevorstehenden Rentenreform einen wichtigen Beitrag zur Sanierung der Staatsfinanzen – und macht sie zum ersten Testfall für jene Strukturreformen, die auf dem Wunschzettel des Internationalen Währungsfonds stehen. Die geplanten Eingriffe betreffen zwar nur einen kleinen Teil der Bevölkerung, nämlich die öffentlichen Angestellten (2002: 831.000) und Pensionäre (2002: 906.000). Das entsprechende Haushaltsdefizit ist dreimal so hoch wie 1995 – das Verhältnis zwischen aktiven Beitragszahlern und Pensionären verschlechtert sich von Jahr zu Jahr.

Vorgesehen ist nun eine sozial gestaffelte Besteuerung der Pensionen und die Erhöhung des Mindestrentenalters auf 55 beziehungsweise 60 Jahre. Außerdem sollen die Renten von nun an von bisher 100 Prozent des letzten Gehalts auf 70 Prozent gesenkt werden. Weil dafür die Verfassung geändert werden muss, braucht der Präsident im Kongress mindestens 60 Prozent der Stimmen. Da die Reform ziemlich genau dem Projekt entspricht, das sein Vorgänger Fernando Henrique Cardoso vergeblich eingebracht hatte, darf er auf breite Unterstützung von Konservativen rechnen. Und weil die allermeisten der 176 Millionen BrasilianerInnen nicht direkt betroffen sind, braucht die Regierung auch keinen breiten Widerstand zu befürchten.

Doch für Ärger sorgen die lauten Proteste aus der eigenen Partei. „Die Staatsdiener werden als Sündenböcke missbraucht“, meint Luciana Genro. „Die Beschneidung von Arbeiterrechten und die Schaffung von privaten Rentenfonds liegen ganz im Sinne der Finanzmärkte.“ Zudem seien die Pensionskassen in den letzten Jahren für andere Zwecke „geplündert“ worden, etwa für den Schuldendienst.

In der PT sind die fünf Parlamentarier, die gegen die Reform stimmen wollen und deshalb mit dem Parteiausschluss bedroht werden, nur die Spitze eines Eisberges. Die meisten Abgeordneten tragen Lulas Kurs mit, doch an der Basis macht sich Frustration breit – so hatte man sich die Umverteilung nicht vorgestellt. Parteiinterne Sachdebatten würden von oben unterbunden, berichten PT-Mitglieder in Porto Alegre. Also lassen sich die Rebellen auf Gewerkschaftskundgebungen feiern.

João Fontes und Luciana Genro wurden nun von der PT-Fraktion suspendiert. „Sie haben den Präsidenten beleidigt und wollen die PT zerstören“, wirft ihnen ein empörter Kollege vor. Dagegen berufen sich die Dissidenten auf das Parteiprogramm. Doch das wird ihnen wenig helfen: Bleiben sie sich am Tag der Abstimmung treu, werden sie ganz ausgeschlossen. GERHARD DILGER